Praxisbeispiel

Tiroler Klimaräte

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Auftakt Klimarat Kaunertal (c) Klimabuendnis Tirol
Praxisbeispiel_Tiroler Klimaräte
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Projektbeschreibung

Koordiniert vom Klimabündnis Tirol und begleitet vom professionellen Moderationsteam von Partizipation Tirol fanden von Jänner bis Mai 2023 in drei Tiroler Regionen Klimaräte statt. Ziel war die Erarbeitung von Lösungsvorschlägen für konkrete klimarelevante Fragestellungen aus der jeweiligen Region. Pro Region nahmen ca. 20 zufällig ausgewählte Bürger:innen die Einladung zum Klimarat an.

Am Ende des 3-tägigen Workshops wurden die Ergebnisse der Öffentlichkeit präsentiert. Ambitionierte Maßnahmen liegen nun am Tisch, die in die Gemeindepolitik und Regionalentwicklung einfließen.

Anlass und Hintergrund

2022 fand bereits ein Klimarat auf Bundesebene statt – mit dabei waren 100 Österreicher:innen. Anders als beim bundesweiten Klimarat, der sich mit Klimafragen im Allgemeinen auseinandersetzte, arbeiteten die Tiroler Klimaräte an einer spezifischen Fragestellung, die relevant für die jeweilige Region war bzw. ist.

Das Klimabündnis Tirol initiierte und koordinierte die Durchführung der Tiroler Klimaräte. Das unabhängige Team von Partizipation Tirol begleitete die regionalen Klimaräte mit dem Ziel, einen möglichst transparenten Prozess zu gestalten, der fundierte wissenschaftliche Inputs genauso wie ausreichend Raum für konstruktive und lösungsorientierte Diskussionen beinhaltete.

  • Die Tiroler Klimaräte waren eine Maßnahme im Rahmen der Nachhaltigkeits- und Klimastrategie des Landes Tirol.
  • Die Prozessbegleitung und -koordination der Tiroler Klimaräte wurde im Rahmen des EU-Projektes „Plattform Klima, Energie und Kreislaufwirtschaft“ finanziert.
  • Die beteiligten Gemeinden und Regionen stellten Räumlichkeiten und Verpflegung für die Klimarät:innen zur Verfügung.

Ziel(e)

Ziel der Klimaräte war es, durch die Perspektiven aus der Bevölkerung wirksame und breit getragene Klima-Maßnahmen auf lokaler und regionaler Ebene umzusetzen.

Prozessdesign und Ablauf

Alle Tiroler Gemeinden waren eingeladen sich für die Durchführung eines regionalen Klimarats zu bewerben. Voraussetzung: Anmeldung von mind. 2 Gemeinden. Schlussendlich bewarben sich drei Regionen mit insgesamt 10 Gemeinden für die Durchführung eines Klimarats:

  • Wattens und Volders
  • Leutasch und Reith bei Seefeld
  • KLAR! Region Kaunergrat mit den Gemeinden Fliess, Kauns, Kaunerberg, Kaunertal, Prutz und Faggen

In einem Vorgespräch (Dezember 2022) mit den Bürgermeister:innen der Gemeinden sowie Regionsvertreter:innen wurden die Fragestellungen gemeinsam ausgearbeitet und der Ablauf, Zeitplan und Zuständigkeiten für die Durchführung geklärt:

  • Fragestellung in Volders/Wattens: Wie können wir eine Mobilität in Wattens und Volders gestalten, die den Menschen dient? Und wie entwickeln wir den öffentlichen Raum und die Flächen zwischen den Gemeinden so, dass die Lebensqualität für alle steigt?
  • Fragestellung Leutasch/Reith bei Seefeld: Wie können wir unseren Lebensraum in Leutasch und Reith bei Seefeld nachhaltig gestalten? Was wollen wir in Bezug auf Klima, regionale Kreisläufe und Mobilität bewirken, um langfristig eine hohe Lebensqualität zu erhalten?
  • Fragestellung Kaunergrat: Wie können wir zu einer gesunden und klimafreundlichen Ernährung in Fließ, Kauns, Kaunerberg, Kaunertal, Prutz und Faggen beitragen? Und wie gestalten wir die Landnutzung in unserer Region so, dass ein guter Boden für alle erhalten bleibt?

Pro Region wurden Bürger:innen zufällig über das Melderegister ausgewählt und eingeladen, die Teilnahme war freiwillig. Ein Vertreter von „Partizipation Tirol“ leitete das Prozedere an. Ausgeschlossen von der Auswahl waren nur Gemeindepolitiker:innen. Um einen Querschnitt der Bevölkerung zu erreichen, wurden Personen eingeladen, die hinsichtlich Alter und Geschlecht dem statistischen Durchschnitt der jeweiligen Region entsprachen. Die ausgewählten Bürger:innen erhielten eine postalische Einladung. Jeweils 15-30 von ihnen bildeten dann den regionalen Klimarat, eine zeitlich begrenzte Aufgabe, um Empfehlungen an die politischen Entscheidungsträger:innen der Region zu erarbeiten. An einem Nachmittag, einem Wochenende und im abschließenden öffentlichen Klimacafé erarbeiteten die Gruppen konkrete Vorschläge für die Region.

Anders als in klassischen Bürger:innenratsprozessen (Methode: Wisdom Council) startete der Prozess mit einem Auftakt (Freitagnachmittags). Es ging ums Kennenlernen der Teilnehmer:innen und das Kennenlernen der Fragestellung. Dafür gab es inhaltliche Impulse zur Fragestellung durch den renommierten Klimawissenschaftler Georg Kaser und je einem sektoralen Experten (z. B. zu den Themen Mobilität, Ernährung, Lebensraumentwicklung/Raumplanung). Außerdem berichteten Gemeindepolitiker:innen von bereits durchgeführten Aktivitäten und Planungen zum Thema. Abgerundet wurde der Nachmittag von Tischgesprächen mit den angeführten Inputgeber:innen sowie auch den Prozessbegleiter:innen von Partizipation Tirol und Klimabündnis Tirol.

Das darauffolgende Klimarats-Wochenende stand ganz im Zeichen der Methode Dynamic Facilitation. Die Teilnehmer:innen wogen anhand der Schwerpunktfragen des Klimarats ihre Bedenken, Ideen, Lösungsvorschläge ab und erarbeiteten Empfehlungen für die lokale und regionale Politik.

Diese wurden im öffentlichen Klimacafé der Bevölkerung (je ca. 40-80 Teilnehmer:innen) und den lokalen politischen Vertreter:innen von den Klimarät:innen selbst präsentiert. Die Empfehlungen wurden symbolisch der Politik überreicht.

Um die Ergebnisse gut zu verankern, fand ein Gespräch mit den politischen Vertreter:innen der Region (Resonanzgruppe), moderiert von Partizipation Tirol und Klimabündnis Tirol, statt. Erste Umsetzungsschritte wurden formuliert sowie die Ergebnisse eingebettet und der Prozess reflektiert.

Eine Zusammenschau aus den Empfehlungen aller Regionen gab es beim „Tiroler Klimaforum am 5. Mai – je mit politischen Vertreter:innen, Klimarät:innen aus den Regionen und dem zuständigen Landesrat:

  • Der Klimarat für Wattens und Volders arbeitete vier Empfehlungen für die Politik aus: Optimierung und Ausweitung der Begegnungszone in Wattens, Volders und Wattens als Radgemeinden, möglichst wenig neue versiegelte Verkehrsflächen, Verbindung und Belebung der Begegnungsorte von Volders und Wattens.
  • Der Klimarat für Leutschach und Reith bei Seefeld empfahl Verkehr zu reduzieren und Mobilität zu erleichtern, Energie nachhaltig zu erzeugen und effizient einzusetzen, die Region als Vorreiter bei ökologischen Putz- und Reinigungsmitteln zu positionieren sowie Wissensaufbau zum Klimaschutz in der Region zu unterstützen.
  • Der Klimarat Kaunergrat empfahl ebenfalls Bewusstseinsbildung und Information, weiters die Etablierung eines Regio-Marktes und eines Klima-Café-Stammtisches sowie die regelmäßige Präsentation von Vorbildern (Landwirt:innen, Gaststätten, die regionale Produkte anbieten).

Ein halbes Jahr später (Dezember 2023) erhob das Klimabündnis Tirol mit der Abteilung Landesentwicklung den Umsetzungsstand der Regionen.

Ergebnisse des Beteiligungsprozesses

Fazit aus den Reflexionsrunden des Klimarats, den Feedbacks aus den Resonanzgruppentreffen, der Nachbesprechung mit der Abteilung Landesentwicklung, der Reflexion der Prozesskoordination von Partizipation Tirol und Klimabündnis Tirol sowie den Evaluierungsgesprächen im Dezember mit den regionalen Prozesskoordinator:innen:

  1. Die Teilnehmer:innen der Klimaräte erarbeiteten großteils realistisch umzusetzende und hilfreiche Empfehlungen, die gut in der lokalen Politik und besonders mit der Unterstützung durch regionale Strukturen (Regionalmanagements, KEM- und KLAR!-Regionsmanager:innen) umgesetzt werden können.
  2. Begleitende transparente Information muss zeitlich eingeplant werden. Gute Vorlagen für Gemeindezeitung und Presseaussendungen halfen den Gemeinden und Regionen bei der Kommunikation nach außen.
  3. Nach sechs Monaten war ca. die Hälfte der Empfehlungen bereits in Umsetzung bzw. in Förderprojekten verankert.
  4. Mit erfahrenen Prozessbegleiter:innen entsteht das Vertrauen der politischen Vertreter:innen, sich auf Beteiligungsprozesse einzulassen.
  5. Wichtig ist, bereits im Vorfeld die Ressourcen und Bereitschaft für die Umsetzung der Empfehlungen der Bürger:innen abzuklären und im Weiteren die Umsetzungsschritte zu monitoren.

Warum es sinnvoll war, mit Beteiligung zu arbeiten

O-Töne aus dem Prozess:

  • „Dass der Zufall einmal genau mich trifft, hat mich sehr gefreut.“ (Teilnehmerin)
  • „Als ich die Einladung bekommen habe, war ich zuerst verunsichert. Den Klimarat fand ich cool, aber ich glaubte nicht die Richtige dafür zu sein. Jetzt wo ich hier bin, weiß ich, dass ich hier richtig bin“ (Teilnehmerin, 14 Jahre)
  • „Wir brauchen neue Wege der Entscheidungsfindung, um den Herausforderungen der Zukunft gerecht zu werden. Wir brauchen klare Ziele, aber auch genug Raum für die Bedenken. Wir können nicht wie eine Dampfwalze auf das Ziel zufahren, sondern müssen eine Umsicht an den Tag legen. Dann können wir eine andere Kultur des Vorgehens etablieren. Schön, wie sich die Kreise erweitern. 2-4 Gemeinderäte haben den Anstoß gemacht auf Einladung des Klimabündnis Tirol, dann hat der gut 20-köpfige Klimarat getagt. Heute beim öffentlichen Klimacafé sind wir 60-70 Leute. Reden wir mit unseren Umfeldern, dass wir die kritische Masse erreichen, die wir für die Umsetzung brauchen.“
    (Alexander Erler, Umweltausschussobmann Wattens)
  • „Ihr seid die Entscheider:innen: was euer Verhalten betrifft aber auch, was ihr zu euren Gemeinderäten und Familien sagt. Bitte nutzt eure Stimme, setzt Entscheidungen und redet darüber, weil das ist auch das was wir als Bürgermeister dann von den Gemeinderät:innen hören und das, was am Ende des Tages wirkt.“ (Lukas Schmied, Bürgermeister Wattens)
  • „Wir haben bereits 2017 als KLAR! Region Kaunergrat damit begonnen, uns mit den Folgen des Klimawandels zu beschäftigen. Dass wir mit dem Klimarat jetzt auch die Bevölkerung der sechs Gemeinden mit ihren Ideen mit einbinden können, freut uns besonders und gibt der KLAR!-Region nochmals einen Schub.“
    (Matthias Schranz, Bürgermeister Kauns)
  • „Was wir heute tun oder nicht tun, spüre ich vielleicht nicht mehr, aber all jene, die 1980 geboren wurden, sehr wahrscheinlich und alle, die heute zur Welt gekommen sind, werden sehr stark spüren, ob wir etwas getan haben oder nicht. Der Hebel in der Klimaschutzpolitik muss sehr schnell, tiefgreifend und nachhaltig gesetzt werden und zwar noch in diesem Jahrzehnt! Keine Tonne CO2 sollte ab heute anders verwendet werden als zur Sicherstellung eines Lebens mit Nullemissionen.“
    (Georg Kaser)

Mehrwert für Klimabündnis Tirol als größter kommunaler Klimaschutzverein: Klimaschutz-Maßnahmen werden von zufällig ausgewählten Personen von Gemeinden unterstützt. Die Empfehlungen der Klimaräte decken und unterstützen bestehende Beratungsansätze: Gute Verankerung des Klimathemas in den Gemeinden durch Klimabeauftragte, transparente Kommunikation und Beratung zu Klimathemen, konsequente Umsetzung von Klimamaßnahmen im Einflussbereich der Gemeinde (Ausbau Erneuerbare Energien, Bereitstellung guter Öffi- und Radinfrastruktur im Bereich Mobilität, nachhaltige Sicherung des Lebensraumes).

Erfahrungen zum Weitergeben / Lessons learned

  • Konkrete, regional angepasste Fragestellungen helfen beim Runterbrechen des sehr komplexen und vielschichtigen Klimathemas. Damit die Ergebnisse besser in der lokalen Politik verankert werden können, wird in kommenden Prozessen verstärkt der gesamte Gemeinderat bzw. gegebenenfalls der Umweltausschuss eingebunden, um die Fragestellung zu erarbeiten.
  • Lokale Kommunikationskanäle wie Gemeindezeitungen haben oft lange Vorlaufzeiten. Für die Information an die Bevölkerung (Ankündigung des Prozesses und auch Einladung zum öffentlichen Klimacafé) ist daher ein längerer Zeitraum zu beachten.
  • Es stellte sich heraus, dass die Teilnehmenden der Klimaräte oft nicht über bereits umgesetzte Projekte der Gemeinden informiert waren. Ein Learning in der Klimaschutzarbeit: aktive und gute Information über bestehende Angebote, vorhandene Konzepte und Planungen ist definitiv noch auszubauen!
  • Regionale Strukturen (Regionalmanagements, KEM- und KLAR!-Regionsmanager:innen, Tourismusverbände) sind wichtige Verbündete für gemeindeübergreifende Beteiligungsprozesse.
  • Nach Ende des Klimarats/Bürger:innenrats ist eine weitere Begleitung, wie z. B. durch das Klimabündnis Tirol, mit einer laufenden Evaluierung und Beratung der Umsetzung sehr hilfreich, damit der Beteiligungsprozess auch wirklich Ergebnisse zeitigt.

Auftraggeber:in

Klimabündnis Tirol

Prozessbegleitung und -beratung

Partizipation Tirol & Klimabündnis Tirol

Kosten und Finanzierung

Finanzierung im Rahmen eines EU EFRE-Projektes.

Ca. 60 000 €



Ansprechpartner:in

Klimaschutzberaterin, Klimabündnis Tirol

Maria Legner

Müllerstraße 7
6020 Innsbruck
0512/583558 23