Praxisbeispiel

Klimarat der Bürgerinnen und Bürger

Klimarat @Karo Pernegger
Klimarat @Karo Pernegger
LAND / BUNDESLAND
Österreich
DAUER
6 Wochenenden, Januar - Juni 2022

Projektbeschreibung

Zufällig ausgewählte Bürger:innen aus ganz Österreich trafen sich an sechs Wochenenden und setzten sich mit der Frage nach einer klimagesunden Zukunft Österreichs und Klimaneutralität bis 2040 auseinander. Als eine Art „Mini-Österreich“ erarbeiteten sie Maßnahmen und Empfehlungen, um die Klimazukunft Österreichs aktiv mitzugestalten.

Anlass und Hintergrund

Der Nationalrat hat mit Entschließung 160/E XXVII.GP vom 26. März 2021 die Bundesregierung ersucht, die Ambitionen auf dem Weg zur Klimaneutralität weiter voranzutreiben und eine Reihe von Maßnahmen, die auf dem Klimavolksbegehren basieren, umzusetzen.

Zu diesen Maßnahmen zählt auch die Einrichtung eines Klimarats der Bürgerinnen und Bürger. Gemäß Entschließung des Nationalrats soll der Klimarat als „partizipativer Prozess zur Diskussion über, und Ausarbeitung von, konkreten Vorschlägen für die zur Zielerreichung notwendigen Klimaschutzmaßnahmen auf dem Weg zur Klimaneutralität 2040 eingerichtet werden. Diese werden an das Klimakabinett beziehungsweise die Bundesregierung übermittelt. Der Endbericht wird durch eine gewählte Vertreterin oder einen gewählten Vertreter dem Klimakabinett und dem Nationalen Klimakomitee zur Diskussion vorgebracht werden.“

Der Klimarat stellt eine Art „Mini-Österreich“ dar. Er setzt sich aus rund 100 Menschen zusammen, die seit mindestens fünf Jahren ihren Hauptwohnsitz in Österreich haben, mindestens 16 Jahre alt sind und einen repräsentativen Querschnitt der Gesellschaft hinsichtlich Geschlecht, Alter, Bildungsstand, Einkommen und Wohnort abbilden. Dazu wurde eine Zufallsstichprobe aus dem Zentralen Melderegister (ZMR) gezogen. Diese zufällig ausgewählten Personen erhielten im September 2021 einen Informationsbrief und damit die Möglichkeit, sich für den Klimarat vor anzumelden. Aus allen registrierten Personen wurden schließlich von Statistik Austria 100 Teilnehmer:innen tatsächlich für den Klimarat ausgewählt. Im Verlauf des Klimarats sagten einige der gelosten Bürger:innen aus verschiedenen (privaten) Gründen ihre Teilnahme ab, am Ende zählte der Klimarat rund 90 aktive Teilnehmer:innen.

Ziel(e)

  • Diskussion über und Ausarbeitung von konkreten Empfehlungen, wie Österreich bis 2040 klimaneutral werden kann.
  • Eine positive und breit anschlussfähige Vision von einer klimaneutralen österreichischen Gesellschaft entwickeln.
  • Durchführen und Erproben von deliberativen Demokratieelementen auf nationaler Ebene in Österreich, die unterstützend bei komplexen Entscheidungsfindungsprozessen eingesetzt werden können.

Die Bürger:innen des Klimarats setzen sich am 1. Wochenende in einem Wirkungsmanifest folgende Ziele:

Zu sehen ist das Wirkungsmanifest des Klimarats, was die 100 teilnehmenden Bürger:innen selbst erarbeitet haben.
Wirkungsmanifest Klimarat, @ Edith Steiner-Janesch, www.brightpicture.at

Prozessdesign und Ablauf

Der Klimarat tagte an insgesamt sechs Wochenenden abwechselnd in Wien und Salzburg. Die Bürger:innen erarbeiteten in einem moderierten Prozess und mit beständiger wissenschaftlicher Unterstützung Maßnahmen und Empfehlungen, die zur Klimaneutralität Österreichs bis 2040 beitragen sollen, in folgenden fünf Handlungsfeldern:

  • Ernährung & Landnutzung
  • Wohnen
  • Mobilität
  • Produktion & Konsum
  • Energie

Vor den Wochenenden 1-3 wurden den Bürger:innen jeweils verständliche und thematisch passende Informationen des Wissenschaftlichen Beirats zur Verfügung gestellt sowie nach jedem Wochenende eine Dokumentation der an diesem Wochenende gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse.

Vor und zwischen den Wochenenden wurden die Bürger:innen beständig durch das Klimarat-Sekretariat via Email & Telefon betreut.

1.

Wochenende 1 – Kennenlernen und gemeinsame Grundlagen schaffen

Im Mittelpunkt des 1. Wochenendes stand das Kennenlernen der Bürger:innen untereinander sowie die Erarbeitung und das Beschließen der gemeinsamen Ziele („Wirkungsmanifest„) und der gemeinsamen Arbeitsweise („Vereinbarungen fürs Miteinander“).

Es folgte ein erster inhaltlicher Einstieg ins Thema in Form von zwei wissenschaftlichen Vorträgen zu den naturwissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels und dem Beitrag Österreichs zur Klimakrise.

Anschließend entwickelten die Bürger:innen Zukunftsbilder eines klimagesunden Österreichs und sammelten die ihnen wichtigen Themen zu den fünf Handlungsfeldern.

2.

Wochenende 2 & 3 – Eintauchen in die fünf Handlungsfelder

Am 2. und 3. Wochenende tauchten die Bürger:innen thematisch tiefer in die fünf Handlungsfelder ein. Zu jedem Handlungsfeld gab es zunächst einen wissenschaftlichen Vortrag, der folgende Fragen genauer beleuchtete: Wie hängt dieses Handlungsfeld mit dem Klima zusammen? Wie entwickelte sich dieser Bereich in den letzten Jahrzehnten? Und was sind die großen Hebel, die umgelegt werde müssen, um Klimaneutralität 2040 zu erreichen?

Die vertiefenden Wissenschaftsdialoge am Abend boten zusätzlich Raum für Fragen und Austausch. Weiters standen die Wissenschafter:innen den Bürger:innen an beiden Wochenenden für Fragen und Feedback zur Verfügung.

Den Großteil der beiden Wochenenden verbrachten die Bürger:innen in ihren zehn Arbeitsgruppen (je zwei pro Handlungsfeld). Ausgehend von den definierten Hebeln diskutierten und erarbeiteten die Bürger:innen Maßnahmen und Empfehlungen zu ihrem jeweiligen Handlungsfeld.

Bei einem wiederkehrenden Marktplatz erhielten die Bürger:innen Einblicke in die Arbeit der anderen Handlungsfelder und konnten Feedback geben.

3.

Wochenende 4 – Der Klimarat fragt Stakeholder, Politik, und die Österreichische Bevölkerung

Im Mittelpunkt des 4. Wochenendes standen Austauschformate der Bürger:innen mit Interessensvertreter:innen und Politiker:innen zu der Frage: Wie können wir gemeinsam die Klimaneutralität 2040 erreichen?

In zwei Runden tauschten sich die Bürger:innen zunächst in Kleingruppen mit Sozialpartnern, Umwelt-NGOs sowie Sozial- und Jugendorganisationen aus. Zuvor hatten die Bürger:innen bereits Impulspapiere der Interessensvertretungen erhalten. Anschließend fanden, ebenfalls in 2 Runden, Dialoge in Kleingruppen mit Vertreter:innen der fünf Parlamentsparteien statt.

Den Rest des Wochenendes erarbeiteten die Bürger:innen in ihren bestehenden Arbeitsgruppen und Handlungsfeldern weitere Empfehlungen und konnten sich bei einem Marktplatz erneut Überblick über die Arbeit der anderen Handlungsfelder verschaffen.

Bei der Online-Umfrage „Der Klimarat fragt Österreich„ konnte die österreichische Bevölkerung Ideen und Vorschläge des Klimarats bewerten (Zustimmung, Ablehnung, Enthaltung) sowie eigene Aussagen hinzufügen, die dann ebenfalls von allen an der Umfrage Teilnehmenden bewertet werden konnten. Diese Umfrage wurde für 10 Tage zwischen Wochenende 4 und 5 freigeschalten.

4.

Wochenende 5 & 6 – Inhaltliches Arbeiten abschließen, Empfehlungen beschließen, Ausblick

Am 5. Wochenende wurden in den Arbeits- und Handlungsfeldgruppen letzte Empfehlungen neu erarbeitet bzw. überarbeitet. Außerdem wurden alle Empfehlungen eines Handlungsfeldes in den dazugehörigen Arbeitsgruppen beschlossen – mithilfe der Abfrage von begründeten schwerwiegenden Einwänden. Gibt es gegen eine Empfehlung einen schwerwiegenden Einwand, der nicht integriert werden kann, so gilt diese Empfehlung als nicht-beschlossen.

Am 6. Wochenende werden alle Empfehlungen aller Handlungsfelder im gesamten Klimarat zur Abstimmung gestellt, ebenfalls durch Abfrage von begründeten schwerwiegenden Einwänden. Bei mehr als neun schwerwiegenden Einwänden gilt eine Empfehlung als „nicht angenommen„, wird jedoch im Abschlussbericht dokumentiert.

Empfehlungen mit mehreren schwerwiegenden Einwänden werden in Dynamic Facilitation-Einheiten von einer diversen Kleingruppe überarbeitet, mit dem Ziel die Einwände zu integrieren. Anschließend werden die überarbeiteten Empfehlungen dem Gesamt-Klimarat erneut zur Abstimmung vorgelegt.

Außerdem fanden am 5. und 6. Wochenende sogenannte Neigungsgruppen statt, die Handlungsfeld-übergreifende Empfehlungen, z.B. zu Themen der globalen Verantwortung Österreichs und sozialer Gerechtigkeit diskutierten und erarbeiteten. Auch über diese Empfehlungen stimmen alle Bürger:innen ab.

Das Ende des letzten Wochenendes dient dem Abschließen. Die Bürger:innen sind eingeladen, auf den Gesamtprozess zurück zu blicken, Feedback zu geben und in die Zukunft zu blicken: Wie geht es für mich und uns weiter nach dem Klimarat? Wie können wir weiterhin wirksam sein?

Eine ausführlichere Dokumentation der sechs Wochenenden kann hier nachgelesen werden.

Ergebnisse des Beteiligungsprozesses

Die Empfehlungen und Maßnahmenvorschläge des Klimarats wurden Anfang Juli 2022 von den Bürger:innen auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit präsentiert und anschließend den Bundesminister:innen Leonore Gewessler und Martin Kocher, dem Parlamentspräsidenten sowie Vertreter:innen aller im Nationalrat vertretenen Parteien und Bundespräsident Alexander van der Bellen persönlich übergeben.

Ende November 2022 erhielten die Bürger:innen eine ausführliche Rückmeldung zu den Empfehlungen.

Ein nicht geplantes, aber sehr erfreuliches Ergebnis des Beteiligungsprozesses bestand darin, dass sich rund ein Drittel der Teilnehmer:innen des Klimarats zur Gründung eines Vereins entschloss, der sich unter anderem als Aufgabe gesetzt hat, die Ergebnisse des Klimarats weiter öffentlich bekanntzumachen. Auch nach Ende des Prozesses werden die Bürger:innen weiterhin zu zahlreichen Veranstaltungen eingeladen, um von ihren Erfahrungen zu berichten.

Erfahrungen zum Weitergeben / Lessons learned

Der Klimarat der Bürgerinnen und Bürger wurde von allen unmittelbar am Prozess Beteiligten – Bürger:innen und den verschiedenen Arbeitsteams – grundsätzlich als sehr geglückt erlebt.

Eine Auswahl wesentlicher Faktoren, die zum Gelingen beigetragen haben:

  • Im Vorfeld der Ausschreibung des Klimarats erfolgte Recherchen und Vernetzungen des Auftraggebers (BMK) hinsichtlich der Erfahrungswerte von Klimaräten in anderen europäischen Ländern.
  • Die detaillierte Ausschreibungsunterlage des Auftraggebers, in der z. B. die Aufgaben des sogenannten „Klimarats-Sekretariats„, das für die gesamte Organisation des Klimarats verantwortlich zeichnete, klar dargelegt wurden, und in der die Governance-Struktur des Klimarates bereits vorgegeben war.
  • Die diverse Zusammensetzung des Moderationsteams (Alter, Geschlecht, regionale Herkünfte), welche gut mit der diversen Zusammensetzung der Bürger:innen korrespondierte.
  • Die zentrale Rolle des Wissenschaftlichen Beirats an den ersten drei Klimarats-Wochenenden bei der Vermittlung der Fakten zur Klimakrise und die dabei entstandenen intensiven Beziehungen zwischen Bürger:innen und Wissenschafter:innen.
  • Professionelle Öffentlichkeitsarbeit, die einen großen medialen „Impact„ des Klimarats generierte und für eine unmittelbare gesellschaftliche Wirksamkeit des Klimarats sorgte.
  • Die Einbindung von wesentlichen Stakeholdern vom Beginn des Prozesses an in der Form eines Stakeholder-Beirats.
  • Zusätzliche personelle Ressourcen, die von der European Climate Foundation für die zivilgesellschaftliche Einbindung des Klimarats finanziert wurden.

Im Falle der Abhaltung einer weiteren Citizens‘ Assembly in Österreich zu bedenken:

  • Von Beginn an Strukturen für „das Danach„ mit-einplanen: z. B. moderierte Termine mit Politik und Verwaltung, um ausreichend Resonanz für die Arbeitsergebnisse der Bürger:innen zu gewährleisten, sowie Öffentlichkeitsarbeit, um die Antworten der politischen Adressat:innen auf die Ergebnisse der Citizens‘ Assembly auch medial zu verbreiten.
  • Vorkehrungen treffen, die verhindern, dass ein partizipativer Prozess wie ein Bürger:innenrat für parteipolitische Auseinandersetzungen missbraucht wird: z. B. durch All-Parteien-Entschluss für die Durchführung oder Einrichtung eines Beirats mit Vertreter:innen aller im Parlament vertretenen Parteien.
  • Allgemein: Arbeit an einem besseren Verständnis – sowohl auf Seiten der Politik als auch auf Seiten der Zivilgesellschaft – was Bürger:innenräte leisten können und was nicht: z. B. durch (parlamentarische) Enqueten, Fach-Symposien, politische Bildung, Publikationen bzw. allgemein mehr öffentlicher Debatte und Know-how-Bündelung zum Thema Beteiligung.
  • Stärkere Bemühungen um Inklusion insbesondere hinsichtlich Einbindung von Bürger:innen aus Nicht-EU-Ländern.

Auftraggeber:in

BMK (Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie)

Prozessbegleitung und -beratung

Mit der gesamten Organisation, Prozessbegleitung und Moderation des Klimarats wurde nach einer europaweiten Ausschreibung ein Konsortium bestehend aus ÖGUTpulswerk und PlanSinn beauftragt.

Des Weiteren wird der Klimart von einem 15-köpfigen multidiziplinären Wissenschaftlichen Beirat unter Leitung des Klimaforschers Georg Kaser und der Umweltökonomin Birgit Bednar-Friedl begleitet.

Darüber hinaus wurde auch ein beratendes „Stakeholder:innen“-Gremium eingerichtet, in dem unter anderem Sozialpartner und Umweltdachverbände vertreten sind.

Kosten und Finanzierung

Insgesamt ca. 2 Millionen Euro, finanziert vom BMK



Ansprechpartner:in

Barbara Ruhsmann
ARGE Klimarat – Leitung Organisation

Barbara Ruhsmann

ÖGUT, Hollandstraße 10/46, 1020 Wien
+43 1 315 63 93 – 21