Projektbeschreibung
Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt ein Mindestmaß an regelmäßiger herzgesunder Bewegung. Laut der österreichischen Gesundheitsstatistik erfüllt weniger als die Hälfte der österreichischen Allgemeinbevölkerung diese Empfehlung. Das Projekt „Ganz Salzburg Bewegen“ hatte zum Ziel, insbesondere auf schwer erreichbare Bevölkerungsgruppen in der Stadt Salzburg zuzugehen – wie z. B. Pensionist:innen, Menschen mit Migrationshintergrund et al. – und mit ihnen gemeinsam mittels verschiedener partizipativer Methoden Vorschläge zur Förderung regelmäßiger herzgesunder Bewegung zu erarbeiten.
Anlass und Hintergrund
Herz-Kreislauf-Erkrankungen (HKE) bilden die häufigste Todesursache in Österreich und weltweit, wobei 38,9 % der Todesfälle in Österreich im Jahr 2018 auf HKE zurückgeführt wurden. In Österreich wird Präventionsmaßnahmen für Personen mit hohem HKE-Risiko (Primärprävention) und für Personen mit nachgewiesener HKE (Sekundärprävention) daher ein hoher Stellenwert eingeräumt. Regelmäßige herzgesunde körperliche Aktivität und Bewegung sind wichtige Präventionsmaßnahmen für HKE und bilden den Forschungsschwerpunkt des Ludwig Boltzmann Instituts für digitale Gesundheit und Prävention in Salzburg.
In Österreich erfüllen weniger als die Hälfte aller 18- bis 64-Jährigen die Bewegungsempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), und bestimmte „schwer erreichbare“ oder „schwer einbindbare“ Gruppen sind hierbei unterdurchschnittlich vertreten. So liegen in Bezug auf die die Erfüllung der WHO-Empfehlungen für körperliche Aktivität in Österreich die Altersgruppen 30-45 und 60+ Jahre, Personen mit Pflichtschulabschluss, Arbeitslose, Pensionist:innen und Personen mit Migrationshintergrund 4 bis 10 Prozentpunkte unter dem Bevölkerungsdurchschnitt. In multivariaten Analysen zeigen sich Einkommen, Bildungsniveau und Migrationshintergrund als die wichtigsten (statistisch signifikanten) soziodemografischen Determinanten für die Erfüllung der WHO-Empfehlungen für körperliche Aktivität.
Derartige Bevölkerungsstatistiken sind hilfreich zur übersichtsmäßigen Definition von Gruppen, die in Bezug auf herzgesunde körperliche Aktivität und Bewegung „schwer erreichbar“ sind, bieten aber nur geringe Anhaltspunkte für die Entwicklung konkreter Strategien zur Einbindung und Steigerung des Bewegungsverhaltens speziell bei diesen Gruppen. Um konkrete Strategien zu konzipieren und zu entwickeln, ist es wichtig, dass Unterstützungsangebote gemeinsam mit diesen Gruppen ausgearbeitet werden, um auf deren spezifische Bedürfnisse und Umstände einzugehen. Im Rahmen des Forschungsauftrags des Ludwig Boltzmann Instituts für digitale Gesundheit und Prävention, Salzburg, (Förderung herzgesunder Bewegung durch digitale Interventionen) und im Rahmen einer bestehenden übergeordneten Kooperation zwischen Ludwig Boltzmann Institut und Fachhochschule Salzburg, wurde dieses Projekt als dezidiertes Kooperationsprojekt zwischen den beiden Organisationen konzipiert und durchgeführt. Die gemeinsame Projektleitung lag bei Dr. Stefan Tino Kulnik, MRes, Physiotherapeut und Forschungsgruppenleiter am Ludwig Boltzmann Institut, und Mag.a Dr.in Melanie Roth, Sportwissenschafterin und Senior Researcher am Department Gesundheitswissenschaften der Fachhochschule Salzburg.
Ziel(e)
Das Projekt „Ganz Salzburg Bewegen“ befasste sich mit der Frage, wie „schwer erreichbare“ Gruppen in Salzburg am besten bei regelmäßiger herzgesunder körperlicher Aktivität und Bewegung zur Herz-Kreislauf-Prävention unterstützt werden können.
Ziel des Projekts war es, Bürger:innen aus „schwer erreichbaren“ Gruppen in Salzburg zu erreichen und in einen intensiven Beteiligungs- und Wissensaustauschprozess einzubinden, um gemeinsam gestaltete Vorschläge zur Unterstützung regelmäßiger herzgesunder körperlicher Aktivität, Bewegung und Sport in ihren Lebens- und Sozialräumen zu entwickeln.
Die spezifischen Ziele waren:
- Bürger:innen in drei öffentlichen Veranstaltungen einzubeziehen (Bürger:innengespräch, Ideenwerkstatt, interaktive Ausstellung),
- Bürger:innen als Mit-Forschende einzubeziehen, und
- die umfangreichen Stakeholder-Netzwerke und die lokale Expertise der Kooperationspartner:innen Fachhochschule Salzburg, Ludwig Boltzmann Institut für digitale Gesundheit und Prävention, Stadt Salzburg und Land Salzburg einzubeziehen und zu nutzen.
Prozessdesign und Ablauf
(1) Bewegte Befragung: An vier aufeinanderfolgenden Tagen im April 2023 schlug das Team von „Ganz Salzburg Bewegen“ seine Zelte auf öffentlichen Plätzen im Salzburger Stadtteil Lehen auf und befragte insgesamt 420 Bürger:innen über Vorlieben, Schwierigkeiten und Vorschläge für gesunde Bewegung in der Stadt Salzburg. Dabei ging es um Bewegungsausmaß (wie oft und wie lange bewegt man sich), bevorzugte Bewegungsarten, Bewegungsorte und -wege, aber auch um Herausforderungen, die sich ergeben und um mögliche Lösungen, um mehr Bewegung in den Alltag zu integrieren. Die anonyme Teilnahme im Stationenbetrieb von Zelt zu Zelt dauerte pro Person zirka 15 Minuten. Als Dankeschön für die Teilnahme erhielten Bürger:innen einen 10€ Lebensmittelgutschein, der in teilnehmenden Geschäften im Stadtteil Lehen einlösbar war.
(2) Mitforscher:innen: In gesundheitsfördernden Projekten ist es oft schwierig, Personen, die an Gesundheitsthemen weniger Interesse zeigen, anzusprechen. Mit dem Hintergedanken, dass man mit bekannten Personen leichter ins Gespräch kommt, engagierte das „Ganz Salzburg Bewegen“-Team acht Bürger:innen, die den Auftrag hatten, im eigenen Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis Interviews durchzuführen. Die acht Mit-Forscher:innen wurden in der Durchführung von Interviews geschult und sprachen auf Deutsch und in anderen Sprachen mit insgesamt 53 Personen aus dem eigenen sozialen Umfeld über deren Vorlieben, Schwierigkeiten und Vorschläge für gesunde Bewegung in der Stadt Salzburg.
Durch die Bewegte Befragung und die Interviews der Mit-Forscher:innen wurden Bedarfe und Wünsche der Bürger:innen gesammelt, die die Grundlage für die „Ganz Salzburg Bewegen“-Ideenwerkstatt bildeten. Häufig genannt wurden zum Beispiel der Wunsch nach kostenfreien und unverbindlichen Bewegungsangeboten, nach gemeinsamen Angeboten für Personen mit unterschiedlicher körperlicher Fitness, und nach Bewegungsmöglichkeiten für Erwachsene mit betreuungspflichtigen Kindern.
(3) Ideenwerkstatt: An zwei aufeinanderfolgenden Tagen im Juni 2023 fand im STADTWERK Lehen die „Ganz Salzburg Bewegen“-Ideenwerkstatt statt. Ein Raum voller Design-Expert:innen von der Fachhochschule Salzburg (Studiengänge Design & Produktmanagement, MultiMediaArt und Soziale Innovation) und dem Salzburger Ludwig Boltzmann Institut für digitale Gesundheit und Prävention (digitales Design) stand Bürger:innen, die ihre persönlichen Ideen und Vorschläge einbringen wollten, zur Verfügung.
80 Bürger:innen verbrachten pro Person zirka zwischen einer halben und einer Stunde bei der Ideenwerkstatt und erstellten mit fachkundiger Unterstützung der Design-Expert:innen Beschreibungen, Handskizzen und kleine gebastelte Prototypen ihrer Ideen. Dolmetscher:innen ermöglichten Personen ohne Deutschkenntnisse die Teilnahme. Das begleitende Rahmenprogramm bot Kinderbetreuung, Bewegung zu Musik, Fahrradtraining und einen Foodtruck, für den die teilnehmenden Bürger:innen als Dankeschön einen 10€ Gutschein erhielten. Am Ende der Ideenwerkstatt wurden insgesamt über 100 konkrete Ideen für mehr gesunde Bewegung gesammelt.
(4) Interaktive Ausstellung: Von Jänner bis März 2024 wurden zehn ausgewählte Vorschläge zur Bewegungsförderung in einer öffentlichen Freiluftausstellung im Lehener Park in Salzburg präsentiert. Diese zehn Vorschläge wurden vom „Ganz Salzburg Bewegen“-Team aus der in der Ideenwerkstatt erstellten Ideensammlung ausgewählt. Es handelt sich um eine Mischung aus kleineren, leichter umsetzbaren Ideen und großen, aufwendigen Konzepten, die verschiedene Bedürfnisse und Zielgruppen in der Stadt Salzburg ansprechen sollen:
- Idee 1: Pop Up Pool – mobil aufstellbarer Pool als Erweiterung der öffentlichen Schwimmbäder.
- Idee 2: BEwegen – durch Spazieren, Laufen oder Radfahren werden BEwegungseinheiten gesammelt, die dann gegen Wertgutscheine eingelöst werden können.
- Idee 3: Move & Search – mittels digitaler Schatzsuche die Stadt lustvoll erkunden.
- Idee 4: Wasser Spiele Lehen – eine Plattform über der Salzach bringt Bewegung und Abkühlung in die Stadt, indem durch Kurbeln und Treten das Wasser aus dem Fluss für Wasserspielstationen verfügbar gemacht wird.
- Idee 5: Energie Spende Wald – schattenspendende, baumähnliche Elemente, die in der Stadt zur Erholung, aber auch zur Energieerzeugung mittels Bewegung einladen.
- Idee 6: Treppen Wunder – gezieltes Einsetzen von Stufen und Treppen für Bewegung im Alltag.
- Idee 7: Willst du mit mir gehen? – Parkbänke entlang der Salzach mit dem Schriftzug „Willst du mit mir gehen?„ laden zum gemeinsamen Spazieren ein.
- Idee 8: Salzburg Treffpunkt Bewegung – App, die Bewegungsangebote zeigt und Interessierte aktiviert und vernetzt.
- Idee 9: Gemeinsam Schaukel – Schaukelanlage mit kooperativen, inklusiven Schaukelangeboten.
- Idee 10: Tanz mit! – ein Bus, der Musik und Tanz an öffentliche Plätze in Salzburg bringt.
Die Ideen wurden mit fotorealistischen Renderings und 3D-Modellen visualisiert. Digitale Komponenten wurden als digitale Prototypen umgesetzt und in kurzen Erklärungsvideos dargestellt.
In der interaktiven Ausstellung waren Bürger:innen eingeladen, eine oder mehrere der Ideen über QR-Codes zu „liken“ und so für eine oder mehrere Lieblingsideen zu stimmen. Die gesamten Inhalte der Ausstellung sind online auch in den Sprachen Englisch, Bosnisch/Serbisch/Kroatisch, Arabisch, Türkisch, Ukrainisch und Dari/Farsi/Pashtu verfügbar: https://gsb.lbi-dhp.at/
Ergebnisse des Beteiligungsprozesses
Als Endergebnis des Projekts liegt eine Sammlung möglicher Strategien und Lösungsansätze vor, die auf den Erfahrungen und dem Lebensalltag von Personen aus „schwer erreichbaren“ Gruppen basieren. Aus dieser Sammlung sollen im weiteren Verlauf eine oder mehrere dieser gemeinsam geschaffenen Strategien in einem Folgeprojekt umgesetzt und evaluiert werden.
Warum es sinnvoll war, mit Beteiligung zu arbeiten
„Die Beteiligung erlaubte uns, mit Zielgruppen in den Austausch zu treten, die typischerweise nicht – oder nicht so leicht – in ein institutionelles Setting eingeladen werden können, um an einem Projekt teilzunehmen. Durch die Verortung der Aktivitäten im öffentlichen Raum, konnten wir direkt auf Passant:innen zugehen und mit Personen ins Gespräch kommen, die wir sonst nicht erreicht hätten.
Wir erwarten uns, dass durch die Beteiligung Vorschläge für Bewegungsförderung entstanden sind, die in den Bedarfen und Vorstellungen der lokalen Bevölkerung verankert sind und bei Umsetzung dementsprechend Unterstützung und Zuspruch finden. In der Akquise von Fördergeldern für die Umsetzung des einen oder anderen Vorschlags erwarten wir uns erhöhtes „Buy-In“ von Geldgebern, durch die Repräsentanz und Einflussnahme der Bevölkerung im Prozess und in den Vorschlägen.“ (Stefan Tino Kulnik, Forschungsgruppenleiter, Ludwig Boltzmann Institut für digitale Gesundheit und Prävention)
Erfahrungen zum Weitergeben / Lessons learned
„Die Übersetzungs- und Dolmetsch-Arbeit waren wichtige Aspekte im Projekt, ohne die wir die Einbindung von Personen ohne gute Deutsch- oder Englischkenntnisse nicht bewerkstelligen hätten können. Professionelle Übersetzung und Dolmetsch in diesem Ausmaß wäre im Rahmen des Projektbudgets nicht möglich gewesen, darum haben wir um Unterstützung durch zwei/mehrsprachige Kolleg:innen in den beruflichen Netzwerken des Projektteams bzw. unter Studierenden der FH Salzburg gebeten, und diese nach dem Stundensatz für studentische Mitarbeit vergütet. Nur wenige Texte mussten bei einem Übersetzungsbüro in Auftrag gegeben werden.
Die Terminfindung für die erste Aktivität (Bewegte Befragung) fiel in den muslimischen Fastenmonat Ramadan. Das Projektteam war sich nicht sicher, ob die Teilnahme von muslimischen Bürger:innen dadurch eingeschränkt würde. In der Einschätzung von muslimischen Kolleg:innen wäre eine Veranstaltung tagsüber während Ramadan sogar eine willkommene Ablenkung. Als Anreiz wurde ein Lebensmittelgutschein als angebracht eingeschätzt, während ein Gutschein für einen Foodtruck nicht passend wäre, da letzterer tagsüber nicht genutzt werden könnte.
Die erste Aktivität (Bewegte Befragung) wurde im Vorfeld durch Postwurfsendungen und A-Ständer (Plakate), und während der Veranstaltung durch aktives Ansprechen von Passant:innen und Verteilen von Flyern beworben. In der Einschätzung des Projektteams hatte die Postwurfsendung wenig Wirkung, d. h. nur vereinzelte Teilnehmende gaben an, aufgrund der Postwurfsendung zur Veranstaltung gekommen zu sein, während die A-Ständer und das aktive Ansprechen von Passant:innen gute Wirkung hatten. Daher wurden für die folgenden Aktivitäten keine weiteren Postwurfsendungen durchgeführt.“ (Stefan Tino Kulnik, Forschungsgruppenleiter, Ludwig Boltzmann Institut für digitale Gesundheit und Prävention)
Auftraggeber:in
Im Rahmen des Forschungsauftrags des Ludwig Boltzmann Instituts für digitale Gesundheit und Prävention, Salzburg, (Förderung herzgesunder Bewegung durch digitale Interventionen) und im Rahmen einer bestehenden übergeordneten Kooperation zwischen Ludwig Boltzmann Institut und Fachhochschule Salzburg, wurde dieses Projekt als dezidiertes Kooperationsprojekt zwischen den beiden Organisationen konzipiert und durchgeführt. Die gemeinsame Projektleitung lag bei Dr. Stefan Tino Kulnik, MRes, Physiotherapeut und Forschungsgruppenleiter am Ludwig Boltzmann Institut, und Mag.a Dr.in Melanie Roth, Sportwissenschafterin und Senior Researcher am Department Gesundheitswissenschaften der Fachhochschule Salzburg.
Prozessbegleitung und -beratung
Prozessbegleitung und -beratung fand durch das Team des Open Innovation in Science (OIS) Center der Ludwig Boltzmann Gesellschaft (Kontakt Dr.in Christiane Grill) statt.
Kosten und Finanzierung
Die Gesamtkosten des Projekts beliefen sich auf 176.805 Euro. Die Finanzierung erfolgte durch den Open Innovation in Science (OIS) Enrichment Fund des Ludwig Boltzmann Gesellschaft OIS Centers, durch interne Fördermittel der Fachhochschule Salzburg, durch in-kind Finanzierung des Ludwig Boltzmann Instituts für digitale Gesundheit und Prävention, und durch Fördermittel der Stadt und des Landes Salzburg.
Links
Downloads zum Thema
Ansprechpartner:in
Stefan Tino Kulnik
Lindhofstraße 22
5020 Salzburg