Allgemein
Design Thinking ist eine Methode, aber auch eine Haltung und systemischer Ansatz, mit dessen Hilfe in co-creativen Teams innovative Lösungen und Prototypen für komplexe Probleme und Fragestellungen entwickelt werden. Dabei steht der Mensch im Mittelpunkt, also die Passgenauigkeit und Attraktivität der entwickelten Prototypen für die Zielgruppe/Nutzer:innen.
Entwickler und Vertreter des Design Thinking sind die Standford-Professoren Terry Winograd, Larry Leifer und David Kelley. Als bekannter Vertreter der Methode gilt auch Tim Brown.
In Bürger:innenbeteiligungsprozessen kommen innovative Co-Kreationsmethoden wie Design Thinking zunehmend zur Anwendung. Zum einen mit dem Ziel, vielschichtige Probleme kollaborativ und zeiteffizient zu lösen, für die es meist nicht nur „die eine“ richtige Lösung gibt. Zum anderen mit dem Ziel, Bürger:innen mit ihren Bedürfnissen in den Mittelpunkt der Ausgestaltung (zukünftiger) Lebensräume oder Dienstleistungen zu stellen und sie – gemeinsam mit allen anderen relevanten Akteur:innen – aktiv in den Entwicklungs- und Entscheidungsprozess miteinzubeziehen.
Ablauf
Die drei Kernelemente des Design Thinking sind:
- Multi-disziplinäre Teams: typischer Weise wird in kleinen Teams von fünf bis sechs Personen zusammen gearbeitet, die möglichst divers und heterogen zusammengesetzt sind. Größere Gruppen werden in kleinere Teams unterteilt.
- Flexible Arbeitsumgebung: Damit sich innovative Ideen bestmöglich entfalten können ist eine variabel nutzbare Arbeitsumgebung ideal, die spontan auf die Bedürfnisse der Gruppe angepasst werden kann und mit einem großen Angebot an Präsentations- und Kreativmaterialen ausgestattet ist.
- Iterativer Prozess: Die Teilnehmenden werden in sich mitunter mehrfach wiederholenden Schleifen durch die sechs Phasen des Design Thinking Prozesses geführt (je nach Literatur werden manchmal auch nur vier oder fünf Phasen definiert). Die ersten drei Phasen fokussieren darauf das Problem zu verstehen, Phasen 4 -6 beschäftigen sich dann mit der Entwicklung und Testung von Prototypen für mögliche Lösungen:
Verstehen
In der ersten Phase geht es darum, dass sich die Teilnehmenden einen allgemeinen Überblick verschaffen und so ein Verständnis für das Problem entwickeln. Hier kann auch Literaturrecherche zu aktuellen Erkenntnissen aus Forschung und Praxis helfen um Wissenslücken zu schließen.
Daraus kann dann eine detaillierte Fragestellung zu den Bedürfnissen und Herausforderungen innerhalb des Projektes abgeleitet werden.
Beobachten
Anschließend machen sich die Teilnehmenden des Design Thinking Prozesses ein Bild über die Zielgruppe/Nutzer:innen der Innovation. Durch Methoden wie (teilnehmende) Beobachtung, Interviews oder Shadowing wird versucht herauszufinden: Was sind die Sichtweisen dieser Menschen auf das definierte Problem/ die definierte Herausforderung? Welche Bedürfnisse, Erwartungen und Erfahrungen haben sie? Was frustriert sie?
Je mehr und je direkter die Zielgruppe/Nutzer:innen befragt und einbezogen werden, desto besser.
Definieren
Nun werden die Erkenntnisse aus Phase 2 durch Gespräche, Geschichten und Fragen in der Gruppe zusammengeführt, d.h. eine Synthese erstellt. Das führt nach und nach zu einem guten Gesamtbild der Situation und einem geteilten Wissenstand. So kann die Herausforderung, für die neue Lösungen gesucht werden, in der Gruppe gemeinsam definiert werden.
Methoden wie Storytelling oder Personas finden Anwendung. Bildliche Darstellungen wie Skizzen oder Sketchnotes können unterstützen.
Ideen finden
Diese Phase dient der kreativen Ideengenerierung, teilweise in Einzel- und teilweise in Gruppenarbeit. Ziel ist es, so viele Ideen und Lösungen wie möglich zu generieren (z.B. mittels Brainstorming oder anderen Kreativmethoden) und hierbei aus den typischen Denkmustern auszubrechen (z.B. durch Interventionen wie: „Wie würde MacGyver das lösen?“).
Während der Ideengenerierung ist es wichtig einen möglichst „offenen Raum” zum Denken zu ermöglichen, d.h. die vorgeschlagenen Ideen noch nicht zu bewerten.
Erst in einem nächsten Schritt werden die Ideen anhand zusammengefasst, geordnet und anhand von vorher definierten Kriterien bewertet.
Prototypen entwickeln
Aus einigen ausgewählten Ideen werden nun Prototypen entworfen. Das können physische Objekte sein, die aus Lego, Knete, Papier oder anderen (Kreativ-)Materialien gebaut werden („mit den Händen denken”), aber auch Zeichnungen oder Rollenspiele. Es geht an diesem Punkt nicht darum, perfekt zu sein, sondern schnelle Idee(n) zu entwickeln, die dann vertieft und weiter erforscht werden können. Dies kann auch mehrere Runden/Wiederholungen erfordern.
Testen
In der letzten Phase werden die Prototypen – am besten mit der Zielgruppe/den zukünftigen Nutzer:innen selbst – getestet. Durch ihr Feedback fließen (neue) Informationen in den Designprozess zurück. Dadurch können Prototypen angepasst, neue Ideen entworfen oder auch eventuell das Gesamtbild (aus Phase 3) überarbeitet werden.
Übersetzt in ein fiktives Fallbeispiel der Bürger:innenpartizipation könnte das demnach so aussehen:
- Im öffentlichen Raum um eine Schule kommt es gehäuft zu Verkehrsunfällen und Konflikten zwischen Rad- und Autofahrenden sowie Eltern, die ihre Kinder zur Schule bringen/abholen wollen. Eine Gruppe – bestehend aus Kindern, Eltern, Verkehrsplaner:innen, Anrainer:innen, Großeltern, Lehrer:innen u. a., ggf. unterteilt in Kleingruppen – verschafft sich gemeinsam einen Überblick über die Lage und entwickelt Verständnis für das Problem.
- In der Beobachtungsphase fotografieren die einen gefährliche Übergänge, andere brechen auf und machen Interviews mit Passant:innen, wieder andere beobachten das Verhalten der verschiedenen Nutzer:innengruppen. So werden kreativ die vielfältigen Bedürfnisse der Nutzer:innen an den Raum erhoben.
- Um zu einer klaren gemeinsamen Definition der Herausforderung zu finden, werden die gemachten Beobachtungen geteilt (z. B. in Form von Rollenspielen oder Storytelling).
- Dann geht’s in die Ideen-Findung mit dem Ziel, so viele Lösungen wie möglich zu generieren und aus typischen Denkmustern auszubrechen.
- Bei der Prototypen-Entwicklung werden einige der Ideen sozusagen mit Händen und Füßen weitergedacht und vertieft. Zum Beispiel könnten hier auf einen groß ausgedruckten Plan des Raums um die Schule Bäume und Pflanzbeete gesetzt, Straßen gesperrt oder Fahrspuren reduziert werden.
- Beim Testen werden die Prototypen ausprobiert und zum Beispiel real für einige Zeit der Autoverkehr probeweise umgeleitet. Die Schüler:innen, Anrainer:innen und Passant:innen werden um Feedback zu den gesetzten Maßnahmen gebeten, mit dessen Hilfe diese angepasst, verändert und verbessert werden.
Organisatorisches
Der organisatorische Rahmen ist relativ aufwändig: Design Thinking braucht geeignete flexible Räumlichkeiten und viel Platz und Material zum Generieren von Ideen und zum Ausprobieren von Prototypen (Papier, Lego, Knete und alle möglichen anderen Kreativ- & Bastelmaterialien). Auch typische Moderationsmaterialien wie Flipchart, Stifte, Klebepunkte für Bewertung und Moderationskarten werden benötigt.
Zu beachten
- Diversität im Team bzw. in der Gruppe ist Voraussetzung, denn beim Design Thinking geht es darum möglichst unterschiedliche Erfahrungen, Meinungen und Perspektiven auf die Herausforderung zusammenzubringen. Alle für diese spezifische Problemstellung relevanten Akteur:innen (z.B. Bürger:innen, Interessensgruppen, Vertreter:innen von Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft) sollten beteiligt werden.
- Bei der Durchführung muss seitens der Moderation darauf geachtet werden, dass sich alle Teilnehmer:innen beteiligen (können), respektvoll miteinander umgegangen wird und Machtungleichgewichte berücksichtigt werden. Denn die Diversität in der Zusammensetzung der Gruppe führt erst dann zu innovativen Lösungen, wenn alle Teilnehmenden ihre unterschiedlichen und vielleicht kontroversen Gedanken und Meinungen auch tatsächlich einbringen.
- Um wirklich neue innovative Ideen zu generieren braucht es außerdem eine offene Fehlerkultur.
- Design Thinking erfordert Begleitung durch erfahrene Moderator:innen in der Umsetzung der Methode. Erfahrung mit unterschiedlichen Visualisierungs- und Kreativitätstechniken ist ebenfalls von Vorteil.
Nicht geeignet für
- Design Thinking eignet sich nicht, wenn von Auftraggeber:innenseite keine Offenheit bzgl. der Ergebnisse und Lösungsansätze besteht. Sind gewisse Ergebnisse nicht gewünscht oder prinzipiell nicht möglich, muss dies zu Beginn des Prozesses transparent gemacht werden, um Frustration und Resignation bei den Teilnehmenden zu verhindern.
Abwandlungen
- Je nach Kontext und vorhanden Ressourcen kann es auch sinnvoll sein, den Ablauf anzupassen bzw. einige Phasen in einer kleineren Gruppe zu durchlaufen bzw. für eine größere Gruppe zu öffnen. Zum Beispiel könnten im Rahmen einer Bürger:innenbeteiligung Phasen 1-3 in einem kleineren Projektteam durchlaufen werden. Darauffolgend gibt es zur Ideen-Generierung (Phase 4) einen öffentlichen Beteiligungsworkshop mit allen relevanten Stakeholdern, mit dem Ziel eine möglichst große Anzahl an neuen Ideen und Lösungen zu generieren. Die letzten beiden Phasen können dann wieder im Projektteam, ggf. mit Unterstützung einzelner inhaltlicher Stakeholder und Expert:innen) durchgeführt werden (vgl. hierfür auch: Design Thinking als Werkzeug für Co-Kreation und Co-Design – Ein Erfahrungsbericht in 5 Thesen | HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik (springer.com))
Weiterführende Informationen
Literatur
Autor*innen: Hasso Plattner, Christoph Meinel, Ulrich Weinberg
Erscheinungsdatum: 2009
Autor*innen: Falk Uebernickel, Walter Brenner, Therese Naef, Britta Pukall, Bernhard Schindlholzer
Erscheinungsdatum: 2015
Autor*innen: Christian Müller-Roterberg
Erscheinungsdatum: 2018
Eigenschaften: online frei verfügbar
Externe Links
- SINNergyTRANS: Methoden zur Förderung sozialer Innovation im Kontext der Energiewende
- dschool ressources
- Was ist Design Thinking?
- Materialsammlung der HPI School of Design Thinking, Potsdam
- Design Thinking als Werkzeug für Co-Kreation und Co-Design – Ein Erfahrungsbericht in 5 Thesen
- Was ist Design Thinking? Prozess und Methode erklärt
- Design Thinking: Methode für geniale Innovationen und alltägliche Problemstellungen