Praxisbeispiel

Nutzungskonzept Pavillonplatz Leutasch: Gemeinsam gestalten, gemeinsam nutzen

Menschen sitzen in mehreren Kleingruppen an runden Tischen und sprechen miteinander
Konstruktive Diskussion bei der Bürgerbeteiligung/ Planungswerkstatt (c)Mag. Robert Krug
Praxisbeispiel_Pavillonplatz Leutasch
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LAND / BUNDESLAND
Österreich/ Tirol / Leutasch
DAUER
November 2024 bis September 2025 (Konzeptphase); laufende, schrittweise Umsetzung

Projektbeschreibung

Der zentrale Pavillonplatz in Leutasch wurde durch einen umfassenden Beteiligungsprozess zum lebendigen Dorfzentrum entwickelt. Einwohner:innen aller Altersgruppen gestalteten gemeinsam die Zonierung und Nutzung des Platzes – von naturnahem Spielplatz über Veranstaltungsfläche bis zur Ruhezone am Moor. Das Ergebnis vereint Verkehrsberuhigung, ökologische Aufwertung und attraktive Aufenthaltsbereiche zu einem generationenübergreifenden Begegnungsort.

Anlass und Hintergrund

Die Gemeinde Leutasch hatte in den vergangenen Jahren den Platz vor dem Musikpavillon im Ortszentrum baulich neugestaltet. Während erste bauliche Grundlagen bereits geschaffen waren, fehlten ein durchdachtes Nutzungskonzept und dazu passende Detailplanungen, um den Platz zu einem lebendigen Dorfzentrum und Begegnungsort für alle Generationen zu entwickeln.

Die Gemeinde Leutasch (ca. 2.500 Einwohner:innen) erkannte, dass ohne aktive Beteiligung der Bevölkerung die Gefahr bestand, dass der Platz trotz baulicher Attraktivität nicht angenommen und genutzt werden würde. Besonders wichtig war es, das gesamte Areal ganzheitlich zu betrachten – nicht nur den direkten Bereich vor dem Pavillon, sondern auch das angrenzende geschützte Moorgebiet, das Eingangsportal mit Bushaltestellen, Parkplätze und umliegende Grünflächen.

Betroffen von der Planung waren alle Bevölkerungsgruppen: Familien mit Kindern benötigten Spiel-und Aufenthaltsbereiche, Senior:innen wünschten sich Ruhe- und Bewegungszonen, Jugendliche suchten nach Sport- und Treffmöglichkeiten. Lokale Vereine, die den Platz für Veranstaltungen nutzen wollten, sowie der Tourismusverband, für den der Platz als Visitenkarte der Gemeinde fungiert, waren ebenfalls wichtige Stakeholder.

Die Gemeinde Leutasch initiierte den Beteiligungsprozess und wurde dabei von der Leitstelle LA21/Dorferneuerung des Landes Tirol unterstützt. Auch das Regionalmanagement und der Tourismusverband waren eingebunden. Die wissenschaftliche Begleitung übernahm das Institut für Medien, Gesellschaft und Kommunikation der Universität Innsbruck unter Prof. Uta Rußmann.

Ziel(e)

Hauptziele des Prozesses:

  • Entwicklung eines ausgewogenen, von der Bevölkerung getragenen Nutzungskonzepts mit passender Detailplanung für den Pavillonplatz und das gesamte umliegende Areal
  • Stärkung der Identifikation der Bevölkerung mit dem Platz, sodass er in Zukunft breit und intensiv genutzt wird
  • Berücksichtigung der unterschiedlichen Bedürfnisse aller Nutzer- und Altersgruppen
  • Harmonische Integration des Platzes in das Dorfbild und seine natürliche Umgebung, insbesondere das geschützte Moorgebiet
  • Schaffung eines generationenübergreifenden Begegnungsraums, der sowohl Einheimischen als auch Gästen dient

Prozessdesign und Ablauf

Der Beteiligungsprozess wurde professionell begleitet und gliederte sich in sechs aufeinander aufbauende Phasen:

1.

Phase 1: Konstituierung der Steuerungsgruppe (November 2024)

Eine neunköpfige Steuerungsgruppe aus Bürgermeister, Gemeinderät:innen, Amtsleiter, Vertreter:innen des Tourismusverbands und des Regionalmanagements wurde gebildet. Sie klärte Rollen, Ziele und Prozessdesign, definierte Rahmenbedingungen und legte die Kommunikationsstrategie fest. Die Steuerungsgruppe übernahm während des gesamten Prozesses die Strukturierung, Priorisierung der Themen und Sicherstellung der transparenten Kommunikation.

2.

Phase 2: Ideensammlung (Dezember 2024 – Januar 2025)

Die Bevölkerung wurde über vielfältige Kanäle informiert und zur Beteiligung eingeladen:

  • Gemeindezeitung, Homepage, Social Media und Gem2Go-App
  • Informationstafel direkt am Pavillonplatz
  • Gezielte Ansprache beim Adventmarkt am Pavillonplatz

Niederschwellige Beteiligungsmöglichkeiten mit Luftbildern zur räumlichen Verortung der Ideen ermöglichten allen die Teilnahme:

  • Online-Formular
  • E-Mail-Einreichung
  • Persönliche Abgabe im Gemeindeamt

36 Personen aller Altersgruppen (von unter 14 bis über 65 Jahre) beteiligten sich und reichten Vorschläge zur Ausstattung und zu Aktivitäten am Platz ein. Die häufigsten Wünsche umfassten einen Spielplatz, attraktive Sitzgelegenheiten, einen Eislaufplatz, ein Café, bessere Integration des Moorgebiets und naturnahe Gestaltung.

3.

Phase 3: Auswertung und Vorbereitung (Februar 2025)

Die Steuerungsgruppe strukturierte die 36 Rückmeldungen thematisch und entwickelte erste Zonierungsüberlegungen. Alle Vorschläge wurden gleichwertig betrachtet, keine Ideen wurden vorschnell ausgeschlossen. Die Ergebnisse bildeten die Grundlage für die Vorbereitung der öffentlichen Planungswerkstatt.

4.

Phase 4: Öffentliche Planungswerkstatt (April 2025)

Über 30 Bürger:innen aller Altersgruppen nahmen an der partizipativen Werkstatt teil. Die Veranstaltung wurde methodisch vielfältig gestaltet:

  • Einstieg: „Postkarte an die Zukunft“ – Teilnehmende visualisierten ihre Vision für den Platz
  • Präsentation: Transparente Darstellung aller eingegangenen Ideen aus der Ideensammlung
  • Kleingruppenarbeit: Mit großformatigen Luftbildern und haptischen Elementen erarbeiteten die Gruppen konkrete Zonierungsvorschläge
  • Vertiefung: Sammlung konkreter Gestaltungselemente und Erstellung von Anforderungsprofilen für verschiedene Funktionsbereiche
5.

Phase 5: Konkretisierung und planerische Umsetzung (April – August 2025)

Die Steuerungsgruppe legte basierend auf den Werkstattergebnissen die finale Zonierung fest und definierte detaillierte Anforderungen. Die Architekten und Landschaftsplaner Felder & Felder wurden beauftragt, einen konkreten Entwurf zu erstellen, der die Ideen und Bedürfnisse der Bevölkerung bestmöglich berücksichtigte. Der Entwurf wurde in der Steuerungsgruppe diskutiert und angepasst. Die Maßnahmen und Zonen wurden priorisiert, um eine schrittweise Umsetzung entsprechend den verfügbaren Ressourcen zu ermöglichen.

6.

Phase 6: Präsentation und Kommunikation (September 2025 und laufend)

Das finale Nutzungskonzept wurde in der Gemeindezeitung vorgestellt. Die Bevölkerung wurde über die geplante schrittweise Umsetzung informiert.

Kontinuierliche Kommunikation während des gesamten Prozesses:

  • Intern: Regelmäßige, strukturiert moderierte und protokollierte Sitzungen der Steuerungsgruppe; direkter Austausch zwischen Prozessbegleitung, Bürgermeister und Amtsleiter; Einbindung der Landschaftsplaner in Schlüsselphasen
  • Extern: Regelmäßige Beiträge in der Gemeindezeitung, aktuelle Informationen auf Homepage und Social Media, Informationstafel am Pavillonplatz, persönliche Ansprache von Vereinen

Ergebnisse und (erste) Umsetzungen

Inhaltliche Ergebnisse:

Der Beteiligungsprozess führte zu einem ausgewogenen Zonierungskonzept mit sieben definierten Funktionsbereichen: eine Ruhe- und Erholungszone am Moor, eine breit genutzte Veranstaltungsfläche/Marktplatz vor dem Pavillon, ein Busterminal mit Infopoint nahe der Straße, ein kleiner Parkplatz, ein naturnaher Spielplatz, eine Bewegungs- und Sportzone sowie eine Freifläche als „Joker“ für zukünftige Entwicklungen. Für jede dieser Zonen legen Anforderungsprofile Gestaltungselemente und Funktionalitäten fest.

Der landschaftsplanerische Entwurf, der aus diesem Prozess hervorging, bildet nun die Grundlage für die Detailplanung und schrittweise Umsetzung.

Positive Auswirkungen auf drei Dimensionen der Nachhaltigkeit:

  • Ökologisch: Aufwertung des Moorgebiets durch naturschutzfachliche Maßnahmen, Reduzierung versiegelter Flächen, Förderung der Biodiversität durch einheimische Pflanzenarten
  • Wirtschaftlich: Attraktivierung des Dorfzentrums, Steigerung der Standortqualität, Verbesserung der touristischen Infrastruktur, Synergien mit lokalen Gastronomiebetrieben, attraktiver Veranstaltungsort
  • Sozial: Generationenübergreifender Begegnungsraum, bedarfsgerechte Gestaltung, barrierefreie Zugänglichkeit, konsumfreie Aufenthaltsbereiche, Förderung des sozialen Zusammenhalts, gestärkte Identifikation mit dem Ort

Prozessuale Ergebnisse:

  • Stärkung der partizipativen Kultur in der Gemeinde Leutasch
  • Erhöhte Akzeptanz für die geplanten Maßnahmen durch frühzeitige Einbindung
  • Sensibilisierung für unterschiedliche Nutzungsansprüche und Bedürfnisse
  • Verbesserte Kommunikation zwischen Gemeinde und Bevölkerung
  • Wissenschaftliche Evaluation durch die Universität Innsbruck lieferte wichtige Erkenntnisse für zukünftige Beteiligungsprozesse. Ein daraus entstehendes Handbuch macht diese Erfahrungen für andere Gemeinden nutzbar.

Stand der Umsetzung:

Die schrittweise Umsetzung hat begonnen. Priorität haben:

  • Aufwertung des Moorgebiets in Zusammenarbeit mit den ‚Plateau Pionieren‘ (Zusammenschluss aus Tourismusverband Seefeld, Naturpark Karwendel und lokalen Betrieben)
  • Realisierung des naturnahen Spielplatzes
  • Gestaltung des Eingangsbereichs mit Infopoint und optimiertem Parkplatzkonzept

Die einzelnen Komponenten werden entsprechend den verfügbaren finanziellen Mitteln umgesetzt, wobei Fördermöglichkeiten genutzt werden.

Das Nutzungskonzept Pavillonplatz Leutasch wurde für den ÖGUT-Umweltpreis 2025 in der Kategorie „Partizipation und zivilgesellschaftliches Engagement – Top Down“ nominiert.

Warum es sinnvoll war, mit Beteiligung zu arbeiten

Mehrwert für die Gemeinde als Auftraggeberin:

  • Bedarfsgerechtigkeit: Das Nutzungskonzept entspricht tatsächlich den Bedürfnissen der verschiedenen Nutzergruppen, da diese direkt eingebunden waren.
  • Hohe Akzeptanz: Die frühzeitige Beteiligung führt zu breiter Zustimmung und verhindert spätere Konflikte.
  • Langfristige Nutzung: Durch die Identifikation der Bevölkerung mit „ihrem“ Platz ist eine intensive und dauerhafte Nutzung gesichert.
  • Ausgewogene Lösungen: Konkurrierende Interessen wurden durch den gemeinsamen Dialog zu tragfähigen Kompromissen geführt (z.B. Parkplatzfrage).

Mehrwert für die Teilnehmer:innen:

  • Selbstwirksamkeit: Die Bürger:innen erlebten, dass ihre Ideen ernst genommen und konkret umgesetzt werden.
  • Gestaltungsmacht: Sie konnten aktiv ihren Lebensraum mitgestalten, statt nur Adressaten von Planungen zu sein.
  • Perspektivenvielfalt: Durch den Austausch mit anderen Nutzergruppen wurde das Verständnis für unterschiedliche Bedürfnisse gefördert.
  • Transparenz: Der offene Prozess schuf Nachvollziehbarkeit über Entscheidungen und Prioritäten.
  • Soziale Begegnung: Die Planungswerkstatt ermöglichte wertvollen Austausch zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen.

Mehrwert für die Prozessbegleitung:

  • Qualität des Ergebnisses: Die methodisch vielfältige Herangehensweise führte zu einem qualitativ hochwertigen, ausgewogenen Konzept.
  • Wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn: Die Evaluation durch die Universität Innsbruck generierte wichtige Erkenntnisse für die Weiterentwicklung partizipativer Ansätze.
  • Vorbildwirkung: Das Projekt kann als Best Practice für andere Gemeinden dienen.
  • Methodische Innovation: Die Kombination aus niederschwelliger Ideensammlung, kreativen Visualisierungsmethoden und strukturierter Werkstattarbeit erwies sich als besonders wirksam

Erfahrungen zum Weitergeben / Lessons Learned

Erfolgreiche Ansätze:

  1. Vielschichtige Kommunikationsstrategie: Die Nutzung aller verfügbaren Kanäle (Print, digital, vor Ort) erreichte unterschiedliche Zielgruppen effektiv.
  2. Niederschwellige Beteiligung: Verschiedene Einreichungsmöglichkeiten (online, E-Mail, persönlich) ermöglichten breite Teilnahme.
  3. Visualisierung: Luftbilder und haptische Elemente machten komplexe räumliche Planung für alle zugänglich.
  4. Strukturierte Steuerung: Die kontinuierliche Arbeit der Steuerungsgruppe sicherte Prozessqualität und Kontinuität.
  5. Transparenz über Grenzen: Ehrliche Kommunikation über finanzielle und räumliche Möglichkeiten verhinderte Enttäuschungen.
  6. Stufenplan: Die Priorisierung der Maßnahmen ermöglicht schrittweise Umsetzung und zeigt schnell erste Erfolge.

Empfehlungen für ähnliche Prozesse:

  • Zeit investieren: Ausreichend Zeit für Ideensammlung und Reflexion einplanen
  • Professionelle Begleitung: Externe Moderation sichert Neutralität und Prozessqualität
  • Kontinuierliche Kommunikation: Regelmäßige Updates halten Interesse aufrecht
  • Steuerungsgruppe: Breite Zusammensetzung sichert verschiedene Perspektiven
  • Fachexpertise einbinden: Landschaftsplaner und andere Expert:innen in Schlüsselphasen hinzuziehen
  • Evaluation: Wissenschaftliche Begleitung liefert wertvolle Erkenntnisse
  • Umsetzung zeigen: Schnelle erste Realisierungen demonstrieren Ernsthaftigkeit

Übertragbarkeit:

Das Projekt zeigt, dass auch kleinere Gemeinden mit begrenzten Ressourcen qualitativ hochwertige Beteiligungsprozesse durchführen können. Die Kombination aus niederschwelligen und intensiven Beteiligungsformaten ist besonders für ländliche Gemeinden geeignet. Die entwickelten Methoden und das Prozessdesign sind auf ähnliche Vorhaben übertragbar.

Auftraggeber:in

Gemeinde Leutasch

Prozessbegleitung und -beratung

Melanie Plangger & Rainer Krismer

Kosten und Finanzierung

Finanzierung des Partizipationsprozesses:

  • Gemeinde Leutasch: Ergänzende Ressourcen für Kommunikation, Räumlichkeiten und Verpflegung bei Veranstaltungen
  • Land Tirol (Leitstelle Lokale Agenda 21): Finanzielle Unterstützung für professionelle Prozessbegleitung und Durchführung der Workshops

Publikationen und Links zu diesem Verfahren

  • Regelmäßige Berichte in der Gemeindezeitung: https://www.leutasch.at/Buergerservice/Gemeindezeitung
  • Gemeinde-Homepage: www.leutasch.at
  • Social Media Kanäle der Gemeinde Leutasch, Gem2Go-App
  • Wissenschaftliche Auswertung durch das Institut für Medien, Gesellschaft und Kommunikation der Universität Innsbruck, geplante Publikation: Handbuch zu partizipativen Planungsprozessen

Ansprechpartner:in

Prozessbegleiterin für Gemeinde- und Regionalentwicklung, Organisationsentwicklung und Beteiligung

Melanie Plangger

Kaufmannstraße 2
6020 Innsbruck
+43 650 7073527