Projektbeschreibung
Unter dem Titel „Regionale Partizipation an globalen Themen – Dialoge für Nachhaltigkeit, Demokratie und Gemeinwohl“ wurden in den Gemeinden Karlstein und Waidhofen/Thaya die ersten kommunalen Bürger:innenräte im Waldviertel abgehalten. Mittels Zufallsauswahl wurde jeweils eine möglichst inhomogene Personengruppe eingeladen. Die zentrale Frage lautete: Wie können wir angesichts der globalen Herausforderungen unserer Zeit hier in unserer Gemeinde die Entwicklung zu einem „Guten Leben für Alle“ auf einem gesunden Planeten positiv beeinflussen?
Anlass und Hintergrund
Anlässlich der schwierigen Entscheidungsfindung rund um die Errichtung von Windkraftanlagen wurde im Frühjahr 2024 in der betroffenen Region im Waldviertel (in insgesamt 5 Gemeinden) eine Befragung der Bevölkerung nach dem üblichen Mehrheitsprinzip abgehalten. Im Vorfeld dieser demokratischen Initiative war allerdings eine besorgniserregende Dynamik hinsichtlich Polarisierung und Spaltung der Bürgerinnen und Bürger zu beobachten.
Um diese Entwicklung kritisch zu hinterfragen, entstand eine Projektgruppe in der „Mitmachregion Waldviertel“ (einem Netzwerk von zivilgesellschaftlichen Initiativen). Die folgende Projektentwicklung für eine neue Kultur der Beteiligung wurde durch einen offenen Brief an Meinungsbildner:innen, Entscheider:innen und Projektbetreiber:innen von Mag. Ulrike Kleindienst ausgelöst, von KEM Manager DI Alexander Simader aufgegriffen und in umsetzungsreife Bahnen gelenkt.
![Menschen auf Sesseln zu zweit in Raum verteilt](https://partizipation.at/wp-content/uploads/2024/12/br-wt-c-kleindienst-1024x498.jpg)
Ziel(e)
Das Projektziel war, die Erfahrungen, die mit „Bürgerbefragung nach dem Mehrheitsprinzip“ gemacht worden sind, nicht unreflektiert in Vergessenheit geraten zu lassen, sondern mittelfristig auch neue Möglichkeiten demokratischer Meinungsbildung ins Blickfeld öffentlicher Aufmerksamkeit zu bringen. Bürgerinnen und Bürger sollen frühzeitig in Beteiligungsprozesse einbezogen, Räume (im Sinne von Gelegenheiten) der Verbundenheit geschaffen und der Fokus weg von polarisierenden Einzelmaßnahmen und wieder auf umfassendere Fragestellungen gelenkt werden.
Prozessdesign und Ablauf
Für das Projekt wurde das Beteiligungsformat „Bürger:innenrat“ gewählt. Die Zufallsauswahl wurde aus dem Melderegister gezogen und funktionierte mithilfe der Es-geht-LOS-App jeweils nach den Kriterien Alter, Geschlecht und Ortschaft. Die Auswahl und Einladung der Teilnehmenden hatte jeweils eine Vorlaufzeit von etwa 6 Wochen. Die Veranstaltungen fanden an drei Abenden in der geschlossenen Gruppe statt. Im Anschluss daran wurde ein öffentliches Bürger:innen-Café abgehalten und die Ergebnisse mit dem Gemeinderat kommuniziert.
Ergebnisse des Beteiligungsprozesses
Neben einer beachtlichen Liste an Projekten und Maßnahmen (siehe dazu auch unter Links und Downloads Abschlussbericht Bürger:innenrat Karlstein), die als Empfehlungen dem Gemeinderat übergeben wurden, ist ein neuer Lernort für Demokratie entstanden. Das „Miteinander“ ist wieder ein Stück weiter ins Bewusstsein gerückt. In Karlstein wird der Bürger:innenrat in Eigeninitiative der Teilnehmenden weitergeführt. In Waidhofen/Thaya sollen die empfohlenen Maßnahmen in die bestehenden Strukturen der Regionalentwicklung (KEM, LIN, STERN, Leader etc.) eingegliedert und mit den Bemühungen zivilgesellschaftlicher Initiativen vernetzt werden.
Warum es sinnvoll war, mit Beteiligung zu arbeiten
Wir erleben derzeit eine besorgniserregende Gesprächs(un)kultur in unserer Gesellschaft. Bei vielen Themen werden Meinungen zu unverrückbaren Standpunkten erklärt. Und in extremen Fällen werden nur mehr Argumente, mit denen sich bereits gefestigte Meinungen untermauern lassen, akzeptiert. Windräder, Zuwanderung oder Corona-Maßnahmen sind nur einige Beispiele dafür.
Nicht selten hören die Menschen einander nicht mehr zu, um sich gegenseitig zu verstehen, sondern um so rasch als möglich eine Gegenantwort parat zu haben. Diese Entwicklungen ziehen ihre Kreise von der großen Politik in die Regionen und machen sich auf allen Ebenen zwischenmenschlicher Beziehungen bemerkbar. Demokratische Meinungsbildung muss also gelernt und geübt werden.
Durch die gezielte Zufallsauswahl (gezielt, weil ja die Auslosung in gleichen Teilen nach den Kriterien Alter, Geschlecht und Ortschaft vorgenommen wurde) ist es gelungen, eine sehr inhomogene Gruppe zusammenzustellen, die kollektive Weisheit von „normalen“ Bürgerinnen und Bürgern zu aktivieren und ihnen die Verantwortung für ihre eigenen Lösungen bewusst zu machen.
Die Beteiligung förderte die Verbundenheit zwischen Menschen. Betroffene selbst wurden so zu Beteiligten und es eröffneten sich neue Möglichkeiten, unterschiedliche Perspektiven zu verschiedenen Themen zu berücksichtigen. Die Initiative war ein wirksamer Beitrag zur demokratischen Kommunikation und Meinungsbildung. Sie förderte das „Über-den-Tellerrand-Blicken“ und dabei die „Scheuklappen“ zu polarisierenden Themen bewusst abzulegen.
![Menschen auf Sesseln im Kreis um Tisch sitzend](https://partizipation.at/wp-content/uploads/2024/12/wt-buerger-cafe-c-kleindienst-1024x768.jpg)
Erfahrungen zum Weitergeben / Lessons Learned
- mindestens 6 Wochen Vorlaufzeit einplanen (losen, einladen, nachlosen, aufsuchen)
- technische Hilfsmittel bei der Auslosung verwenden (esgehtLOS App)
- unbedingt Wertevereinbarungen treffen und Visionen formulieren (Zukunft trifft Vergangenheit)
- Widerstände regelmäßig abfragen
- die genaue Formulierung der Fragestellung schon im Zuge der Beauftragung gemeinsam mit den Entscheidungsträgern treffen
- laufend den persönlichen Kontakt zum Auftraggeber (Bürgermeister) pflegen
- zwischen den Treffen des Bürger:innenrats gemeinsam mit einem Teilnehmenden den Bürgermeister besuchen
- gut wäre, nach dem Projektende eine Person zu beauftragen, der/die als „Kümmerer:in“ für umsetzungsreife Ideen weiter zur Verfügung steht
Auftraggeber:in
Gemeinde Karlstein/Thaya und Gemeinde Waidhofen/Thaya
Prozessbegleitung und -beratung
Mag. Ulrike Kleindienst (Projektmanagement und Prozessmoderation), DI Alexander Simader (Fachexpertise und Förderabwicklung), Stephanie Steyrer (Prozessberatung und Moderation der Veranstaltungen)
Kosten und Finanzierung
Gesamtkostenpauschale (inkl. Steuern und Nebenkosten) waren jeweils € 15.000,- pro Gemeinde. 70% der Kosten wurden durch ein Förderprogramm des Klima– und Energiefonds zur Unterstützung von kommunalen Klima- und Energieprojekten finanziert.
Publikationen und Links zu diesem Verfahren
Der Link zum Abschlussbericht Waidhofen/Thaya wird ergänzt, sobald dieser von der Gemeinde hochgeladen wurde.