Praxisbeispiel

RAUM.WERTprozess Schulcampus Neustift

Schulcampus Neustift im Stubaital, (c) Herta Hurnaus
Schulcampus Neustift im Stubaital, (c) Herta Hurnaus

Projektbeschreibung

In Neustift sollten mehrere Schulen zu einem Schulcampus zusammengelegt werden. RAUM.WERTcc wurde von der Gemeinde beauftragt, einen Beteiligungsprozess durchzuführen, um die Wünsche und Bedürfnisse aller Beteiligten zu ermitteln.

Anlass und Hintergrund

In Neustift im Stubaital war der Schulstandort bereits in den 60er Jahren an den Ortsrand gelegt worden, damit die auf Sport spezialisierte Schule den Bezug zur Natur im schulischen Alltag leben konnte. Doch Neustift wuchs und die Schule fand sich im Lauf der Jahre erneut mitten im Ort wieder, weshalb der Bedarf an Erweiterung nicht mehr erfüllt werden konnte. Also wurde der Beschluss gefasst, einen neuen Schulstandort zu gründen. Dieser sollte wieder an einem naturbezogenen Ort liegen und alle Schulen von Neustift sowie das Internat der Schimittelschule zusammenführen – ein Beschluss, der nicht nur Zustimmung erfuhr. So hat sich die Gemeinde Neustift auf Anregung der Geschäftsstelle für Dorferneuerung des Amtes der Tiroler Landesregierung entschlossen, einen Beteiligungsprozess mit der RAUM.WERTmethode durchzuführen, um die Wünsche und Bedürfnisse aller Beteiligten in die Planung einfließen zu lassen.

Ziel(e)

Ziel des Prozesses war es die möglichen Synergien zwischen den Schulen sowie dem Ort gründlich aufzuspüren, und die Wünsche der Nutzer:innen zu erforschen. Es sollte das pädagogische Profil geschärft und aus allen Anforderungen, Wünschen und Ideen ein Raumprogramm entwickelt werden, das die Bedürfnisse aller Einheiten erfüllt.

Prozessdesign und Ablauf

RaumWert-Workshop
RaumWert-Workshop

Ein RAUM.WERTprozess orientiert sich an folgendem Ablauf:

  • Auftragsklärung – was ist der eigentliche Sinn dieses Prozesses?
  • Bildung von Steuerungsgruppen – wer übernimmt wofür Verantwortung?
  • Großgruppenworkshop „Diagnose„
  • Zwischenphase: Exkursionen, Workshops mit Schüler:innen, Schärfung des pädagogischen Konzepts
  • Großgruppenworkshop „Vision„
  • Entwicklung eines räumlichen Qualitätenkatalogs
  • Öffentliche Präsentation

Ergebnisse des Beteiligungsprozesses

Im ersten Großgruppenworkshop („Diagnoseworkshop“) wurden die räumlichen Gegebenheiten analysiert. Dabei wurde vor allem bemängelt, dass die Volksschule keine eigene Identität und keine abgeschlossenen Räumlichkeiten hat, dass es innerhalb des gemeinsamen Gebäudes keinen Überblick gibt, dass die Wege im Gebäude lange und ohne Aufenthaltsqualitäten sind und dass es keine Rückzugsmöglichkeiten für die Schüler:innen gibt. Besonders negativ wurde das Gebäude, in dem das Internat untergebracht ist, beurteilt: Eng, zu klein und völlig abgewohnt unterstützte es in keiner Weise den anspruchsvollen und anstrengenden Trainingsalltag der Jugendlichen.

Die Exkursionen zu vorbildlichen Schulen in Alberschwende/Bregenzerwald und Welsberg/Pustertal haben geholfen, bis dahin nur vage bewussten Wünschen konkrete Bilder zu liefern.

Im zweiten Großgruppenworkshop, der der Vision gewidmet ist, wurden Ziele und Wünsche definiert: Der neue Campus sollte ein Ort sein, an dem sich alle wohlfühlen können, weil ihre räumlichen Bedürfnisse berücksichtigt wurden. Es sollte ein „Haus der Kinder“, „Haus der Lehrer:innen“, „Haus der Erwachsenenbildung“, „Haus der Vereine“ „Haus des Wohnens“ gleichermaßen sein. Der Campus sollte sich gegenüber dem Ort öffnen. Die einzelnen Bereiche/Schulen sollten einerseits sinnvoll voneinander getrennt sein und eigene Eingänge haben, andererseits durch gemeinsam zu nutzende Räume verbunden werden. Dieser gemeinsame Bereich rund um die geforderte Aula sollte auch für „Fremd“nutzung wie z. B. durch Vereine direkt erreichbar sein.

Was das Internat betrifft, sollte dessen Kernbereich nur für die dort Wohnenden bzw. die Nachmittagskinder der Schihauptschule zugänglich sein.

Aus diesen Ergebnissen haben wir ein synergetisches Raumprogramm entwickelt, das dem Wunsch nachkommt, Verbindungen zwischen den Einheiten und Orte der Begegnung zu schaffen, aber auch das geäußerte Bedürfnis nach Kleinteiligkeit und Rückzugsmöglichkeiten berücksichtigt.  

Am darauf folgenden europaweit offenen Wettbewerb haben sich rund 60 Büros beteiligt. Als Siegerprojekt wurde das Projekt von fasch&fuchs.architekten ausgewählt, das 2019 realisiert wurde: Ein zweigeschoßiges Eingangsgebäude an der Straße ist der gut wahrnehmbare Auftakt für den Campus und verbindet ihn mit dem Dorf.  Die abgetreppte Lage am Hang dahinter bietet ideale Bedingungen für die einzelnen, eingeschoßigen Schul-Cluster, die hinter dem Eingangsgebäude liegen: Jedes besitzt einen geschützten Innenhof, der sowohl für den Unterricht als auch für die Pausen genutzt werden kann. Die Schul-Cluster, die durch eine Schul-Straße und begrünte Dachgärten verbunden sind, fließen quasi bis ins Tal, wo der 5-geschoßige Bau des Internats den Schlussakzent setzt.

Fasch&fuchs.architekten haben aus dem Raumkatalog von RAUM.WERTcc ein Projekt entwickelt, das den Ansprüchen einer „Schule von Morgen“ vollauf entspricht, und 2020 die Auszeichnung des Landes Tirol für Neues Bauen erhalten hat.

Warum es sinnvoll war, mit Beteiligung zu arbeiten

Der Beschluss, alle sechs Schulen und ein Internat an einen Standort zusammenzuführen, war anfangs sehr umstritten. Nur durch Mediation und einen neutral geführten Partizipationsprozess war es möglich, dass alle Beteiligten ihre Befürchtungen und Bedürfnisse äußern konnten und ein Raumprogramm erstellt wurde, das möglichst viele dieser Bedürfnisse berücksichtigte. Durch die Beteiligung wurde das Ergebnis schließlich auch von einer breiten Basis mitgetragen.

Erfahrungen zum Weitergeben / Lessons learned

Der Beteiligungsprozess in Neustift zeigte deutlich, dass eine gute Akzeptanz von anfangs umstrittenen Planungen öffentlicher Gebäude nur gelingen kann, wenn möglichst viele Menschen in den Prozess mit eingebunden werden. Es wurde auch klar, dass eine neutrale, unvoreingenommene Herangehensweise der Prozessbegleiter:innen sehr wichtig ist und dass diese nur durch externe Begleiter:innen gewährleistet werden kann.

Auftraggeber:in

Gemeinde Neustift

Prozessbegleitung und -beratung

RAUM.WERTcc: Arch. DI Franz Ryznar, Archin. DIin Ursula Spannberger

Kosten und Finanzierung

Ca. 25.000€ netto; finanziert durch die Gemeinde Neustift. Der Beteiligungsprozess wurde gefördert durch das Land Tirol, Abteilung Dorferneuerung.



Ansprechpartner:in

Architektin, Mediatorin

Ursula Spannberger

Vierthalerstraße 4/3, 5020 Salzburg
0662 231014