Projektbeschreibung
Nachbarschaftlich organisierte Beteiligung für alle im Sonnenwendviertel!
Der „Nachbarschaftsrat Sonnwendviertel“ ist ein jährlich stattfindender Beteiligungsprozess. Bewohner:innen werden dabei unterstützt, gemeinsame Anliegen zu erkennen, zu bearbeiten und sich wirksam zu organisieren, um sich damit für eine sozial und ökologisch nachhaltige Entwicklung des Quartiers einzusetzen. Dieser Prozess fördert den sozialen Zusammenhalt und hilft, die vielfältigen Herausforderungen unserer Zeit konstruktiv anzugehen. Gleichzeitig bietet er einen Erfahrungsraum, in dem politische Handlungsfähigkeit auf lokaler Ebene erlernt werden kann.
In einem wiederkehrenden Prozess können sich alle Menschen im Viertel einbringen, um gemeinsam etwas zu bewirken. Wir arbeiten an einer partizipativ-demokratischen Kultur und dem Aufbau von Strukturen zur Förderung von sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit im Viertel. Dazu betreiben wir eine Online-Plattform, organisieren Nachbarschaftsforen und begleiten den Nachbarschaftsrat.
Anlass und Hintergrund
Unser Modell „soziokratischer Nachbarschaftsrat“ zeigt eine innovative Lösung zur Förderung von zivilgesellschaftlichem Engagement und sozialem Zusammenhalt. Die nachhaltige Entwicklung im Quartier kann somit von und mit Bewohner:innen selbst vorangetrieben werden. Die Intention war eine Bottom-up-Beteiligungsstruktur in jährlichen Durchgängen zu etablieren, die allen Bewohner:innen des Quartiers ermöglicht, relevante Anliegen zu identifizieren, zu bearbeiten und damit gemeinsam nachhaltige Quartiersentwicklung zu betreiben. Eine Besonderheit des Nachbarschaftsrats ist seine Unabhängigkeit, was den Vertreter:innen eine selbstbewusste Stimme gegenüber Politik und anderen Akteur:innen verleiht. Der Nachbarschaftsrat ist ein Beispiel wie Bewohner:innen sich in ihrem direkten Lebensumfeld selbst organisieren und auf konstruktive Weise, abseits von Parteien, politisch betätigen und wirksam werden können. Damit ist der Nachbarschaftsrat als partizipativ-demokratisches Modell eine lokale Ergänzung zur repräsentativen Politik auf Bezirksebene.
Durch eine Förderung des Mobilitätsfonds konnte 2022 ein erster Pilot im Sonnwendviertel-Ost zum Thema Mobilität realisiert werden, bevor das Modell in weiteren Durchgängen weiterentwickelt und umfassender umgesetzt werden konnte.
Ziel(e)
Der Nachbarschaftsrat …
- lädt alle Menschen zur Teilnahme ein, denen das Quartier wichtig ist, die hier leben oder arbeiten, unabhängig von Alter, Geschlecht, Religion und sozialer Schicht, auch Nicht-Wahlberechtigte können teilnehmen.
- schafft sichere Räume für den Austausch von Meinungen und Ideen, die eine Grundlage für transparente und faire Entscheidungsprozesse bilden.
- bietet Raum zum Erlernen und Praktizieren politischer Handlungsfähigkeit, Selbstorganisation, sozialer Kompetenz, Solidarität, Werte und Wissensaustausch.
- fördert zivilgesellschaftliches Engagement und die Entwicklung lebendiger und widerstandsfähiger lokaler Gemeinschaften.
- fördert die konstruktive Zusammenarbeit mit lokalen Politiker:innen und Verwaltung, um das Vertrauen in Institutionen zu verbessern und sicherzustellen, dass die Stimmen der Menschen gehört werden.
- ermöglicht wirksame Bürger:innenbeteiligung als wichtige Ergänzung zum repräsentativen demokratischen System auf lokaler Ebene.
- bearbeitet wirksame Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität in der Nachbarschaft und setzt sich dafür ein, dass diese umgesetzt werden – zum Beispiel zur Bewältigung der städtischen Auswirkungen des Klimawandels sowie der neuen sozialen Herausforderungen in der Nachbarschaft.
Prozessdesign und Ablauf
Der Verein zur Förderung von sozialer Nachhaltigkeit und Partizipation wurde gegründet, welcher die jährlichen Durchgänge des Nachbarschaftsrats organisiert.
Ablauf:
Vorbereitend für einen neuen Durchgang findet Öffentlichkeitsarbeit und Aktivierung der Bevölkerung statt. Alle Menschen, die im Sonnwendviertel leben oder arbeiten und Interesse an der nachhaltigen Entwicklung des Quartiers haben, sind eingeladen teilzunehmen. Bei der Aktivierung und Gestaltung der Kommunikation wird sich bewusst um einfache Sprache bemüht.
Ideen- und Themensammlung
Es gab zusätzlich zur Eingabe von Ideen über die Web-Plattform auch die Möglichkeit, Ideen bei Aktivierungsaktionen im öffentlichen Raum persönlich zu übergeben.
Online Voting der Top-Ideen und Anliegen
Für das Voting ist eine Anmeldung auf der Online-Plattform nötig, um Missbrauch zu verhindern.
Offenes Nachbarschaftsforum
Das Nachbarschaftsforum ist eine offene Veranstaltung für alle Interessierten im Quartier. Es werden die Ergebnisse des Votings präsentiert und diese in Kleingruppen weiter bearbeitet. Außerdem findet Vernetzung, Austausch und das gegenseitige Kennenlernen aller Teilnehmenden statt.
Von den Anwesenden werden Vertreter:innen in den Nachbarschaftsrat gewählt. Das sind vor allem Personen, welche die Bereitschaft haben, verbindlich für einige Monate an den diskutierten Themen weiterzuarbeiten.
Nachbarschaftsrat
Der Nachbarschaftsrat besteht aus 6-10 Personen und trifft sich etwa vier Mal im Abstand von 1-2 Monaten, um für die kommenden Monate an diesen Top-Themen zu arbeiten. Die Ergebnisse werden dann öffentlich kommuniziert und es finden Treffen von Vertreter:innen des Nachbarschaftsrats mit der Bezirkspolitik und Verwaltung statt.
Der Nachbarschaftsrat nutzt für seine Arbeit soziokratische Prinzipien der Selbstorganisation und Mitbestimmung. Entscheidungen werden im Konsent getroffen.
Themen und Anliegen haben jeweils eine:n Themenhüter:in, welche auch zwischen den Treffen des Nachbarschaftsrats am Fortschritt in der Sache arbeitet.
Das Prozessteam unterstützt die Gruppen beim Netzwerken und bei der Kommunikation mit anderen Akteur:innen, bereitet Sitzungen vor, moderiert diese Sitzungen und dokumentiert die Ergebnisse.
Das Prozessteam:
Im Prozessteam engagieren sich unter anderem ehemalige Nachbarschaftsrats-Mitglieder vergangener Durchgänge, die nun mithelfen zukünftige Durchgänge zu organisieren. Die Prämissen des Nachbarschaftsrat-Prozesses für das Prozessteam sind:
- Klare Spielregeln, transparenter Prozess
- Gut moderierte Versammlungen begleiten
- Ergebnisoffen
- Geringe Hürden zur Teilnahme, einfache Sprache
- Unterschiedliche Stufen zur Beteiligung im Prozess anbieten
- Stets sozialen Zusammenhalt fördern
- Möglichst alle Stimmen und Perspektiven berücksichtigen
- Geeignete Lösungen im Sinne möglichst aller Bewohner:innen finden
- Soziokratische Prinzipien im Nachbarschaftsrat sicherstellen
- Gute dauerhafte Beziehungen zu anderen Akteur:innen im Bezirk aufbauen
Das Soziokratie Zentrum und diverse Quartiershäuser stellen gelegentlich Räume und andere Infrastruktur kostenlos bereit.
Ergebnisse des Beteiligungsprozesses
Die wichtigsten Themen der Bewohner:innen wurden gesammelt, identifiziert und durch den neu gebildeten Nachbarschaftsrat bearbeitet.
Kooperationen mit Agenda21, Gebietsbetreuung, Bezirksvorstehung und Mitarbeiter:innen der Stadtverwaltung wurden aufgebaut.
Die gewählten Personen im Nachbarschaftsrat haben für den Zeitraum des Durchgangs verlässlich bei allen geplanten Aktivitäten und Versammlungen teilgenommen. Besonders positiv bewertet haben sie unter anderem die stets gute Stimmung, das Gefühl etwas bewegen zu können, die Art der soziokratischen gemeinsamen Entscheidungsfindung und wie der Prozess organisiert wurde.
Die Top-Themen wurden durch den Nachbarschaftsrat herangetragen an die Zuständigen bei Bezirk / Stadt und bei anderen Institutionen. Erfolge, die erzielt wurden:
- Pflanzung weiterer Bäume und Mitsprache bei der Gestaltung von Grünflächen
- Entwicklung von Empfehlungen und Plänen zu Verkehrsthemen (z. B. Durchfahrung der Bloch-Bauer-Promenade, Durchgang zum Arsenal, Flexzonen, Verbesserung der baulichen Fahrradinfrastruktur im Grätzel)
- Neue Initiativen und Projektgruppen haben sich gebildet, z. B. für das Sonnwendfest 2025
- Bearbeitung von Nutzungskonflikten, z. B. Ärger mit Jugendlichen
Mehr Informationen zu den Ergebnissen sind auf der Projektwebsite zu finden.
Der Nachbarschaftsrat Sonnwendviertel war unter den Nominierten für den ÖGUT-Umweltpreis 2024 in der Kategorie Zivilgesellschaftliches Engagement.
Warum es sinnvoll war, mit Beteiligung zu arbeiten
Einige Initiativen und Anliegen konnten gemeinsam gut bearbeitet und konkrete Verbesserungen im Quartier erzielt werden. Wir konnten mit dem Projekt ein Stück weit Kultur und Strukturen für Beteiligung und Selbstorganisation im Viertel fördern.
Die Bewohner:innen im Quartier konnten viele neue Kontakte knüpfen, auch über das eigene Wohnhaus hinweg. Die soziale Nachhaltigkeit im Quartier wurde durch das Projekt gestärkt.
Das Bewusstsein zu Themen der sozialen und ökologischen Nachaltigkeit im Viertel wurde erhöht.
Die Teilnehmenden konnten Erfahrung machen, wie man gemeinsam etwas erreichen kann und was es dazu braucht.
Als Projektteam konnten wir im Laufe des Projekts noch viel lernen über lokale Beteiligung auf Quartier-Ebene.
Erfahrungen zum Weitergeben / Lessons Learned
- Klare Spielregeln und reflektiver Prozess, um von Durchgang zu Durchgang als Organisations-Team zu lernen.
- Begrenzte Reichweite, insbesondere ist es schwer „schwer erreichbare“ Gruppen zu aktivieren. Die Hoffnung ist, dass dies von Mal zu Mal besser gelingt.
- Tür-zu-Tür-Aktionen und aktivierende Befragung etc. brauchen viel Zeit, aber damit erreichen wir Menschen, die wir sonst sicherlich nicht erreicht hätten.
- Soziokratie ist erst auf der Ebene des Nachbarschaftsrates sinnvoll; also da, wo Menschen in einer Gruppe mit gemeinsamen Zielen verbindlich zusammenarbeiten.
- Der Prozess sollte diverse Möglichkeiten bieten, sich als Teilnehmer:innen zu beteiligen: von ganz niederschwellig bis ganz verbindlich.
- Der konstruktive Kontakt mit der Bezirkspolitik und auch Agenda21 sowie Gebietsbetreuung ist sehr hilfreich.
- Gerne helfen wir anderen mit unserer bisherigen Erfahrung, um einen Nachbarschaftsrat anderswo aufzubauen.
Auftraggeber:in
Erster Pilot- Durchgang: Mobilitätsfonds Stadt Wien; nun ehrenamtlich selbstorganisiert
Prozessbegleitung und -beratung
Verein zur Förderung von sozialer Nachhaltigkeit und Partizipation und en:tribe
- Florian Bauernfeind
- Orsolya Lelkes
- Rita Mayrhofer
Kosten und Finanzierung
Nur der erste Pilot-Durchgang zum Thema nachhaltige Mobilität war gefördert, seither ehrenamtlich.