Praxisbeispiel

KLEINSTADTBIOTOP Vöcklabruck

Marktplatz im KLEINSTADTBIOTOP (c) Kleinstadtbiotop@Koller
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Projektbeschreibung

Der Verein KLEINSTADTBIOTOP setzt am Stadtplatz in Vöcklabruck ein Zeichen für Innenstadtbelebung, für die Revitalisierung alter Gebäude und für Inklusion und Nachhaltigkeit. Der Slogan „SHOPPING, KULINARIK, ERLEBNIS UND BEGEGNUNG – ALLE(S) UNTER EINEM DACH„ beschreibt die Ausrichtung dieses Projektes und ermöglicht gemeinsam die Bewirtschaftung eines großen Leerstandes. Fast 1300 m2 Gewerbefläche sind mit zehn Geschäften, zwei Restaurants, Kinder- und Veranstaltungsräumen, Begegnungsflächen und drei sozialen Einrichtungen vollständig ausgefüllt. Insgesamt arbeiten im KLEINSTADTBIOTOP fast 80 Personen zusammen, davon neun Menschen mit intellektuellen und körperlichen Beeinträchtigungen. Besucher:innen erleben jeden Tag, wie Unternehmen, Sozialvereine und Menschen mit Beeinträchtigungen zusammenarbeiten, diesen Standort beleben und weiterentwickeln.

Anlass und Hintergrund

Herausfordernde Zeiten für Innenstädte und den Einzelhandel verlangen nach neuen und nachhaltigen Konzepten. In Vöcklabruck wurde ein innovatives Modell eines Wirtschaftsstandortes mitten am Stadtplatz entwickelt und zur Umsetzung gebracht. Das Modellprojekt KLEINSTADTBIOTOP könnte auch anderen Innenstädten zu neuem Leben verhelfen und den Start für eine neue Ära des solidarischen Wirtschaftens darstellen.

2021 war der Start des Agenda-21-Bürgerbeteiligungsprozesses mit ca. 30 Personen (Gemeinde, Wirtschaftsbund, Gastronomie, Unternehmen, regionale Produzenten, interessierte Bürger:innen) mit dem Ziel, durch Kooperation und Innovation einen Leerstand im Stadtzentrum gemeinsam zu bewirtschaften.

Ziel(e)

Das Projekt KLEINSTADTBIOTOP hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Menschen ihr Zentrum zurückzugeben, neue Wege für den Einzelhandel aufzuzeigen und alle Anforderungen an einen lebendigen Stadtkern zu vereinen.

Prozessdesign und Ablauf

1.

FEBRUAR 2021

Start des Agenda 21 Bürgerbeteiligungsprozesses mit ca. 30 Personen (Gemeinde, Wirtschaftsbund, Gastronomie, Unternehmen, regionale Produzenten, interessierte Bürger:innen). Der Prozess wurde vom Regionalmanagement OBERÖSTERREICH (Agenda.Zukunft) mit Unterstützung der SPES-Zukunftsakademie geleitet. Es wurden partizipative Methoden zur Sammlung von Ideen und Visionen verwendet, welche sowohl im Plenum als auch in Kleingruppen erarbeitet, gesammelt und geclustert wurden. In Workshops wurden im Rahmen eines Design-Thinking-Prozesses zusammen mit den Akteur:innen konkretere, potentielle Geschäftsbereiche entwickelt.

Die gemeinsame Zukunftsvision wurde verschiedenen Expert:innen aus Wirtschaft und Politik vorgestellt und auf ihr Umsetzungspotential hin geprüft.

2.

JULI 2022

Nachdem eine geeignete Immobilie und ein kooperativer Besitzer gefunden wurden, startete gemeinsam mit einem Architekten die Erarbeitung eines Flächennutzungsplans. Die potenziellen Geschäftsbereiche wurden mit der Prozessbegleitung durch die Zukunftsakademie OBERÖSTERREICH, mit Einbindung der Kommunalpolitik und des Stadtmarketings an das ausgewählte Gebäude angepasst.

In einem halbjährlichen Prozess wurden gemeinsam immer wieder Änderungen und Anpassungen vorgenommen und auf wirtschaftliche Umsetzung geprüft. Dazu wurde vor allem visuell mit den Plänen des Architekten und in den Räumlichkeiten der Immobilie gearbeitet.

3.

DEZEMBER 2022

Im Dezember 2022 wurde die Entscheidung für die Organisationsform getroffen. Zur Auswahl standen: Verein mit gewerblichen Mietern, GmbH, Genossenschaft, Personengesellschaft etc.  Auf Anraten der Prozessbegleitung wurde entschieden, den Verein KLEINSTADTBIOTOP zu gründen.

Der nächste Schritt war die Suche nach Vorstandsmitgliedern, die Erarbeitung von deren Funktionen und das Verfassen der Statuten. Der neue Vorstand übernahm die weitere Planung und Akquise der Mieter:innen. Sieben Einzelhandelsunternehmen, eine neue Gastronomie, drei regionale Galeristen und drei verschiedene Sozialvereine konnten für dieses Projekt gewonnen werden. Die Vision der Zusammenarbeit und Partizipation hat die neuen Mieter:innen trotz des damaligen Zustands des Gebäudes von ihrer Beteiligung bzw. dem Einzug überzeugt. Zwei bestehende Einzelhandelsunternehmen konnten durch diese Entwicklung am Standort gehalten werden.

4.

SEPTEMBER 2023

Der Umbau und die Revitalisierung des historischen Gebäudes am Stadtplatz wurde durch die ATES-Förderung ermöglicht und beinhaltete eine intensive Zusammenarbeit mit der zuständigen Abteilung des Landes Oberösterreich. Die neuen Mieter:innen, insbesondere die Lebenshilfe Oberösterreich, wurden in die Umbauarbeiten miteinbezogen. Eine barrierefreie Ausführung der Flächen war oberste Priorität. Für die Vision des solidarischen Wirtschaftsmodells wurde die Programmierung einer neuen Kassa-Software in Auftrag gegeben, welche die Einnahmen den jeweiligen Shops zuordnet. Des Weiteren wurde nach Expert:innen gesucht, welche mit dem Aufbau der Medien- und Öffentlichkeitsarbeit beginnen konnten. Diese vorerst unbezahlte Tätigkeit wurde ebenfalls aus Überzeugung und Engagement heraus professionell aufgebaut und weitergeführt. Viele Beteiligte waren bereit, einen Anteil an Arbeit und Wissen zu leisten, um dieses Projekt voranzubringen. Gleichzeitig wurde innerhalb des Vorstandes ein Community-Management für die Koordination und das Zusammenwirken vor Ort aufgebaut.

Gemeinsam mit einer engagierten Rechtsanwaltskanzlei wurden Miet- und Nutzungsverträge verfasst, welche den Mieter:innen die größtmögliche Flexibilität an Untervermietungen bieten. Der Grundsatz lautete: Mit jeder neuen Mieter:in, Nutzer;in, Austeller:in und Kursleiter:in gewinnt das Projekt an Kundenfrequenz und Bekanntheit.

5.

OKTOBER 2023

Ende Oktober 2023 konnte nach acht Wochen „Hochleistungs-Umbau“ mit einem fulminanten Tag der offenen Tür der Tagesbetrieb starten. Im KLEINSTADTBIOTP arbeiten täglich rund 80 Personen in unterschiedlichen Beschäftigungsverhältnissen zusammen (ehrenamtliche Tätigkeit, Selbstständige, Voll- und Teilzeitkräfte, freischaffende Künstler;innen, Kurs- und Workshopanbieter, inklusive Beschäftigte), davon sind rund die Hälfte neu geschaffene Arbeitsplätze.

Neun Menschen mit körperlichen und intellektuellen Einschränkungen arbeiten im gesamten Projekt mit und entwickeln eigene Formate und Angebote, die auf ihre Interessen und Kompetenzen zugeschnitten sind. Für den Tagesbetrieb bedeutet das eine hohe Bereitschaft an Zusammenarbeit und gegenseitiger Rücksichtnahme, aber auch eine große Bereicherung und gegenseitige Unterstützung. Das größte Potential und gleichzeitig die größte Herausforderung in diesem Projekt sind die Menschen. Die Beteiligten, welche sich dieser Herausforderung stellen, haben gelernt das „große Ganze“ zu erkennen und wertzuschätzen. Der Austausch und die tägliche Zusammenarbeit (insbesondere mit den Beschäftigen der Lebenshilfe) sind fester Bestandteil dieses Projektes.

Zusammenarbeit am Marktplatz (c) Kleinstadtbiotop@Koller

Ergebnisse des Beteiligungsprozesses

Das Ergebnis des Beteiligungsprozesses kann man am Vöcklabrucker Stadtplatz jederzeit besichtigen, wobei angeregt durch den Vereinsvorstand und die Leitung der Lebenshilfe der Tagesbetrieb stetig und gemeinsam weiterentwickelt wird. So werden zum Beispiel immer weitere Möglichkeiten für Start Ups geschaffen, ein Ausbildungslehrgang für „Gastronomie und Einzelhandel“ für Beschäftigte der Lebenshilfe wird gerade aufgebaut und die Weiterarbeit an den 17 SDG’s begleitet die tägliche Arbeit.

Das KLEINSTADTBIOTOP Vöcklabruck wurde im November 2024 für den ÖGUT-Umweltpreis in der Kategorie „Partizipation und Zivilgesellschaftliches Engagement„ nominiert und mit dem Publikumspreis ausgezeichnet.

Warum es sinnvoll war, mit Beteiligung zu arbeiten

Die Entwicklung eines Projekts zur Belebung eines Leerstandes in der Innenstadt braucht eine engagierte und interessierte „Masse“, um daraus eine gemeinsame Vision und einen Umsetzungsprozess zu generieren. Der Tagesbetrieb, welcher seit einem Jahr in Gang ist, wird stetig weiterentwickelt und verfeinert. Auch dafür kann durch die Zusammenarbeit auf vielfältige Kompetenzen und verschiedene Ansätze zurückgegriffen werden und die Aufgaben können aufgeteilt werden. Die Zusammenarbeit mit der Lebenshilfe und die Einbeziehung von Menschen mit Beeinträchtigung geben diesem Projekt einen ganz besonderen Mehrwert im Sinne der Menschlichkeit und Inklusion.

Erfahrungen zum Weitergeben / Lessons learned

Das Biotop leistet Pionierarbeit, welche zum Nachmachen anregt. Die steigende Anzahl an Führungen und Interessent:innen zeigt, dass die Suche nach modernen Innenstadtlösungen begonnen hat.

Das Modell KLEINSTADTBIOTOP lässt sich auf viele andere Gemeinden anpassen, die sich für die Entwicklung eines solidarischen und individuellen Wirtschaftsstandortes entscheiden und in Sachen Innenstadtbelebung aktiv werden möchten.

Das Kleinstadtbiotop hat daher gemeinsam mit der SPES-Zukunftsakademie und dem Regionalmanagement Oberösterreich ein Consulting Modell KLEINSTADTBIOTOP 2.0 entwickelt, welches in anderen Gemeinden zur Umsetzung gebracht werden kann. Das Modell orientiert sich an dem Prozess, welcher bei der Entwicklung im KLEINSTADTBIOTP selbst zur Anwendung kam. Dieses teilt sich auf verschiedene Leistungserbringer:innen im Rahmen der Projektgruppe auf und wird an die Anforderungen und Möglichkeiten des jeweiligen Kunden angepasst.

Auftraggeber:in

Stadtgemeinde Vöcklabruck

Prozessbegleitung und -beratung

Regionalmanagement Oberösterreich (Agenda Zukunft Österreich), SPES-Zukunftsakademie

Kosten und Finanzierung

Förderprojekt der Agenda, Kostenbeteiligung der Stadtgemeinde Vöcklabruck, Gesamtkosten ca. 35 000 Euro



Ansprechpartner:in

Obfrau Verein KLEINSTADTBIOTOP, Selbstständig

Petra Wimmer

Verein KLEINSTADTBIOTOP
Stadtplatz 15 – 17
4840 Vöcklabruck
+43 664/ 4300488