Praxisbeispiel

Gesundheit für Alle

Abschlussbericht_(c)DIALOGPLUS
Abschlussbericht "Gesundheit für Alle" (c)DIALOGPLUS

Projektbeschreibung

Anlässlich des 10-jährigen Jubiläums der Gesundheitsziele Österreich gestalteten Dialog Plus und die Caritas Stadtteilarbeit einen Beteiligungsprozess im Auftrag des Gesundheitsministeriums. Ziel war es, die gesundheitlichen Perspektiven, Bedürfnisse und Wünsche von Menschen in die Umsetzung treffsicherer zukünftiger Maßnahmen und in die Weiterentwicklung bestehender Maßnahmen einfließen zu lassen. Mehr als 2.000 Menschen nahmen zwischen Sommer und Herbst 2021 an einer Online-Befragung und Fokusgruppengesprächen teil.

Anlass und Hintergrund

Die 10 Gesundheitsziele Österreich wurden 2012 beschlossen, um gesundheitsförderliche Lebensbedingungen in Österreich politikfeldübergreifend und ganzheitlich zu fördern. Sie sind Österreichs zentrale Public-Health-Strategie und werden in enger Abstimmung mit der Agenda Gesundheitsförderung umgesetzt. Entwicklung und Umsetzung der Gesundheitsziele sind durch die Beteiligung zahlreicher Institutionen aus Politik und Gesellschaft geprägt. Während der bisherige Beteiligungsprozess vor allem auf die institutionelle Ebene fokussierte, sollte anlässlich des 10-Jahres-Jubiläums 2022 die Bevölkerung in ihrer Vielfalt verstärkt eingebunden werden.  

Ziel(e)

Ziel des Beteiligungsprozess war es, diverse Perspektiven auf Gesundheit aufzuzeigen und wirkungsvolle Schwerpunkte für die Zukunft zu identifizieren. Damit sollte die Umsetzung der Gesundheitsziele stärker an die Lebensrealitäten und Bedarfslagen der in Österreich lebenden Menschen angepasst und die Wirksamkeit getroffener Maßnahmen erhöht werden. Auch sollten Erfahrungen aus dem Prozess für die Optimierung zukünftiger Partizipationsprozesse genutzt werden.

Durch den Prozess sollten sehr unterschiedliche Bevölkerungsgruppen eine Möglichkeit bekommen, die Umsetzung der Gesundheitsziele mitzugestalten. Inhaltlich fokussierte die Beteiligung daher auf folgende Themen:

  • Gesundheitsbedürfnisse & Verhaltensweisen im Alltag
  • Gesundheitliche Hürden & Herausforderungen
  • Hilfen, Ressourcen & Supportnetzwerke
  • Gesundheit während der Pandemie
  • Gesundheitliche Chancengerechtigkeit
  • Wünsche und Ideen für Maßnahmen

Prozessdesign und Ablauf

Die Grafik zeigt den Prozessverlauf des Projekts "Gesundheit für Alle", so wie im nachfolgenden Text beschrieben
Die Abbildung zeigt die Prozessschritte im Überblick (c) DIALOGPLUS

Um die Breite der in Österreich lebenden Bevölkerung abzudecken und gleichzeitig auf die Bedürfnisse besonders vulnerabler Gruppen eingehen zu können, wurde ein crossmedialer Beteiligungsprozess entworfen. Eine breit angelegte Online-Befragung wurde mit analogen Fokusgruppen für spezielle Zielgruppen kombiniert, um unterschiedliche Beteiligungssettings bereitzustellen. Hierbei wurde insbesondere auf Computerkompetenz, Sprache und Barrierefreiheit geachtet.

Bei der Durchführung wurden die Themen für die Teilnehmer:innen möglichst alltagsnahe aufbereitet. Menschen wurden über vertraute Organisationen und Multiplikator:innen angesprochen und transparent über die Ziele und Ergebnisse der Beteiligung informiert. So wurde es möglich, sehr viele Menschen als Expert:innen für die eigene Gesundheit anzusprechen.

Die Online-Umfrage wurde mittels Grafiken, einfacher Sprache, Farbe und intuitiver Navigation möglichst aktivierend und gleichzeitig barrierefrei gestaltet. Die Optimierung auf mobile Endgeräte war dabei ein wesentlicher Punkt für den niederschwelligen Zugang zur Umfrage. Diese wurde über breit angelegte Öffentlichkeitsarbeit und eine Social Media Kampagne kommuniziert, die von Multiplikator:innen im erweiterten Gesundheitsbereich gestreut wurde.

Um auch vulnerable Gruppen zu erreichen und deren besondere Perspektiven und Bedarfslagen genauer zu erheben, bedarf es ergänzend analoger Methoden. Daher wurden Fokusgruppen mit bestimmten Zielgruppen und auf sie zugeschnittene Gesprächssettings umgesetzt.

Die Ergebnisse des Prozesses wurden in einem Bericht aufgearbeitet und im Rahmen der Jubiläumsveranstaltung der Gesundheitsziele präsentiert und diskutiert. Der Bericht richtet sich an Entscheidungsträger:innen und enthält Empfehlungen für Schwerpunktmaßnahmen und weitere Beteiligungsschritte.

Ergebnisse des Beteiligungsprozesses

Die Rückmeldungen aus dem Prozess wurden in einem umfassenden Bericht zusammengefasst, der Empfehlungen für Schwerpunkte in der Umsetzung der Gesundheitsziele und für weitere Beteiligungsprozesse darlegt. Diese ergeben sich aus den eingebrachten Anregungen, Ideen und Wünschen der Teilnehmenden und einer Zusammenfassung unterschiedlicher Perspektiven auf Gesundheit, gesundheitlicher Bedürfnisse und Verhaltensweisen. Die Ergebnisse sollen zur Entwicklung wirkungsvoller Gesundheitsmaßnahmen in den nächsten Jahren im Rahmen der Gesundheitsziele Österreich beitragen. Die Selbsteinschätzung der Beteiligten und deren Wahrnehmung von Bedarfslagen sind eine wichtige Grundlage für die bedürfnisorientierte Gestaltung von zukünftigen Strategien und Maßnahmen. Die Identifikation von wahrgenommenen Chancen und Hürden in Hinblick auf Gesundheit und das Gesundheitswesen sollen dabei helfen, in Zukunft die Chancen zu stärken und die Hürden abzubauen. Die Erkenntnisse aus der Durchführung und Auswertung der Beteiligung sollen in zukünftige Beteiligungs- und Informationsprozesse einfließen.

Um eine Übersetzung der Ergebnisse in gesundheitsfördernde Maßnahmen zu erleichtern, wurden fünf Gesundheitstypen erstellt:

  • „Der:Die Reaktive kann aufgrund geringer zeitlicher und finanzieller Ressourcen nur das Notwendigste für seine Gesundheit unternehmen und handelt vor allem reaktiv auf erlebte Beschwerden.
  • Die:Der Informierte weiß übermäßig gut über Gesundheitsangebote Bescheid, informiert sich genau und kann wahrgenommenen gesundheitlichen Problemlagen so aktiv entgegenwirken.
  • Der:Die Proaktive legt großen Wert auf einen aktiven und gesunden Lebensstil, kann sich diesen auch leisten und fördert so seine:ihre Gesundheit langfristig.
  • Die:Der Desinteressierte nimmt seinen Gesundheitszustand als gut wahr, weshalb Gesundheit in seinem Alltag eine untergeordnete Rolle spielt.
  • Der:Die Vulnerable erlebt gesellschaftliche und gesundheitliche Benachteiligungen und wünscht sich mehr Mitbestimmung und zielgruppenspezifische Angebote.„

Diese Gesundheitstypen dienen als Werkzeug für Entscheidungsträger:innen, um die erhobenen Perspektiven der Bevölkerung bei der Erstellung und Umsetzung von Maßnahmen im Blick zu behalten. 

Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass Gesundheit und Wohlbefinden neben persönlichen Lebenslagen stark von zur Verfügung stehenden Ressourcen und strukturellen Faktoren wie Einkommen, Bildung, Geschlecht, Herkunft etc. abhängen. Um die gesundheitliche Chancengerechtigkeit zu fördern, bedarf es der aktiven Förderung der Gesundheit vulnerabler Gruppen bei gleichzeitiger Bekämpfung der strukturellen Ursachen von Ungleichheit.

Während der Pandemie hat sich der individuelle Gesundheitszustand vieler Teilnehmenden verschlechtert, wobei sozial benachteiligte Gruppen besonders betroffen waren. Neben persönlichen Strategien, um gesund durch den Alltag zu kommen, gibt es insbesondere bei unterrepräsentierten Gruppen ein großes Interesse, gesundheitspolitische Maßnahmen mitzugestalten.

Der Bericht mit allen Ergebnissen ist hier einsehbar.

Warum es sinnvoll war, mit Beteiligung zu arbeiten

Gesundheit betrifft uns alle und sollte deshalb gemeinsam gestaltet werden. Dieser Grundsatz ist bereits in der Entstehungsgeschichte der Gesundheitsziele verankert.

Um treffsichere Maßnahmen entwickeln zu können, braucht es ein klares Verständnis über die gesundheitlichen Bedürfnisse, Verhaltens- und Sichtweisen, Herausforderungen und Wünsche in der Bevölkerung. Neben der Expertise von Institutionen im erweiterten Gesundheitsbereich braucht es dafür auch die Alltagsexpertise von in Österreich lebenden Menschen. Wenn Menschen, die von Maßnahmen profitieren sollen, an deren Entwicklung mitwirken, können blinde Flecken minimiert werden. Dadurch wird die Umsetzung der Gesundheitsziele stärker an die Lebensrealität und Bedarfslagen der Bevölkerung angepasst. Das erhöht im besten Falle nicht nur die Qualität und Wirksamkeit der Maßnahmen, sondern auch ihre Akzeptanz bei Betroffenen und anderen Stakeholdern.

Teilnehmende – insbesondere Menschen die von sozialer Benachteiligung, Exklusion und Diskriminierung betroffen sind – schätzten die Möglichkeit, sich in den Prozess einbringen zu können. Beteiligung auf der Ebene nationaler Politik geht einher mit dem „Problem“, dass der direkte Mehrwert der Teilnahme häufig prozesshaft und unklar ist. Längerfristig kann im gegebenen Fall eine Umsetzung der Gesundheitsziele mitgestaltet werden, die verbesserte Gesundheitsleistungen für alle in Österreich lebenden Menschen bedeuten. Allerdings liegt zwischen Teilnahme und beobachtbaren Auswirkungen nicht nur ein potenziell langer Zeitraum. Auch ist der Erfolg von Maßnahmen zur Gesundheitsförderung von vielen anderen Variablen abhängig. Neben dem direkten Mehrwert (Mitgestaltung von Politik) ist der Einsatz für gesellschaftliche Belange für viele sinnbringend. Die positive Erfahrung „gehört zu werden“ kann eine sozial integrative Wirkung haben. Auch kann Beteiligung Lerneffekte mit sich bringen und dazu motivieren, sich in Zukunft an politischen Debatten und Prozessen zu beteiligen.

Erfahrungen zum Weitergeben / Lessons learned

Die Kombination von digitalen/analogen und qualitativen/quantitativen Methoden erlaubte es, viele und vielfältige Stimmen in den Prozess zu holen. Mit der Online-Befragung konnten Perspektiven, Einschätzungen, Wünsche und Ideen von 2.102 Personen eingeholt werden. Die Teilnahme war hinsichtlich demographischer Merkmale wie Geschlecht, Alter, Bildungsstand, Einkommen, Wohnort sowie Migrationsgeschichte divers, wobei Frauen, 30-45-Jährige, Menschen mit hoher formeller Bildung und Menschen ohne Migrationsgeschichte überrepräsentiert waren. Gut funktioniert hat die Aktivierung zur Teilnahme über Muliplikator:innen im erweiterten Gesundheitsbereich.

Um auch vulnerable Gruppen zu erreichen, die mit dem Instrument der Online-Befragung schwerer angesprochen werden können, und deren besondere Perspektiven und Bedarfslagen genauer zu eruieren, wurden drei Fokusgruppen organisiert, die eine tiefergehende Auseinandersetzung durch dialogische Gesprächssituationen ermöglichten. Die drei Fokusgruppen wurden mit Senior:innen, Jugendlichen bzw. jungen Erwachsene und Menschen mit Migrations- bzw. Fluchterfahrung durchgeführt, die in Armut bzw. finanziell prekären Verhältnissen lebten. Die Fokusgruppen wurden in drei unterschiedlichen Bundesländern abgehalten – Wien, Niederösterreich und Salzburg – um auch Stimmen aus unterschiedlichen Kontexten sowie unterschiedliche regionale Ausgangslagen sichtbar zu machen.

Die Lernerfahrungen für zukünftige Informations- und Beteiligungsprozesse können wie folgt zusammengefasst werden:

  • Wunsch nach mehr Mitbestimmung, insbesondere bei vulnerablen Gruppen, die sich in ihren Bedürfnislagen weniger wahrgenommen fühlen.
  • Involvierung von Patient:innen beim Design von Gesundheitspolitiken, um der Alltagsexpertise von Betroffenen den entsprechenden Stellenwert zu geben.
  • Stärkung von Empowerment und Selbstorganisation.
  • Zielgruppenspezifische Kommunikation und Partizipation.
  • Ansprechen von Zielgruppen über Multiplikator:innen.
  • Beteiligung muss am Alltag der Menschen anknüpfen.

Auftraggeber:in

Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz

Prozessbegleitung und -beratung

Dialog Plus und Caritas Stadtteilarbeit

Kosten und Finanzierung

Der Prozess wurde aus den Mitteln der Gesundheitsförderung 21+ gefördert.



Ansprechpartner:in

Dialog Plus, Beteiligung und Soziale Innovation

Jakob Winkler

Friedmanngasse 21/5,
1060 Wien
+43 676 902 1864