Praxisbeispiel

Drei Schulen unter einem Dach

Drei Schulen unter einem Dach
(c) Freisinger
Drei Schulen unter einem Dach
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LAND / BUNDESLAND
Leoben, Österreich
DAUER
3 Jahre
ANWENDUNGSFELDER
METHODEN

Anlass und Hintergrund

Leoben in der Steiermark ist der Prototyp einer österreichischen Mittelstadt, die im Zuge des wirtschaftlichen Strukturwandels massiv schrumpft und mit erheblichen Leerständen zu kämpfen hat.
Aufgrund dieser Entwicklungen wurde in den letzten Jahren beispielsweise die Anzahl der Volksschulen fast halbiert. Weitere Schließungen werden voraussichtlich noch folgen. Als im Stadtviertel Donawitz, das ohnehin unter seinem schlechten Ruf leidet, auch noch das Werksbad geschlossen wurde, verschärfte sich die Stimmung. In dieser Situation musste die Stadtregierung erkennen, dass eine „routinemäßige“ Generalsanierung und Schulzusammenlegung mit dem üblichen Aufteilen überholter Raumnutzungen in alten Gemäuern politisch nicht mehr verkraftbar sein wird.
Auf der Suche nach einer „anderen“ Antwort sollten nun ökonomische Zwänge und bildungspolitische Überlegungen mit anderen Umgangsformen und stadtteilbezogenen Impulsen verknüpft werden. Dementsprechend wurde begonnen, im Rahmen eines neu im Werden begriffenen Schulstandortkonzepts für die nächsten Jahrzehnte in Donawitz einen ersten Schritt zu setzen.

Ziel(e)

Unter der Auflage, eine nutzungsneutrale Grundstruktur für das einfache Reagieren auf demografische und schulische Veränderungen zu konzipieren, wurde das Architekturbüro zinner & nonconform beauftragt, einen inhaltlich wie methodisch neuen Weg zu gehen. Klar war ab diesem Zeitpunkt: Es reicht nicht, Klassen, Lehrmittelzimmer und Konferenzräume in notwendiger Anzahl auf bestehende Räume zu verteilen. Es muss grundlegend auf den sich verändernden Bedarf der nächsten Jahrzehnte reagiert werden können. Außerdem geht es bei derartigen Impulsprojekten mit potentieller Strahlkraft auch darum, nachhaltige Stadtteilentwicklung zu betreiben. Und schließlich sollte auch die atmosphärische Dimension des Schulgebäudes in den Rang oberster Prioritäten gehoben, Baukultur sollte also als ein Feld von Schulentwicklung verstanden werden.

Prozessdesign und Ablauf

Das Architekturbüro „nonconform“ hatte sich zu Beginn des Projektes mit seinem partizipativen Format der „ideenwerkstatt“ bereits einen Namen in der Dorfentwicklung gemacht. Seit 2011 agiert das Büro gemeinsam mit Michael Zinner, der an der Kunstuniversität Linz die Forschungsplattform „schulRAUMkultur“ leitet, auch im Bereich von Schulumbauten unter dem Namen „zinner & nonconform“. Die Erfahrung und Kompetenz in Sachen pädagogischer und schulräumlicher Zukunftsentwicklung von zinner & nonconform konnte in einen Planungsprozess einfließen, in dem Partizipation Einfühlung der Fachleute und Selbstverantwortung der Laien einforderte.
Nach dem dreitägigen „Beteiligungs-Fest“ der ideenwerkstatt begleitete das Team die weitere Planung im Austausch mit den NutzerInnen bis in die Besiedelungsphase hinein. Die Sanierung wurde nicht nur technisch, sondern vor allem „choreografisch“ verstanden. Sie kann unterstützen, alles zu verändern: Den Stadtteil, die Pädagogik und die Ökonomie.
Gemäß dem Motto „nach drei Tagen ist alles anders“ arbeitete das Team wie ein „normales“ Architekturbüro – nur eben vor Ort und mitten unter den Menschen. Um die Bedürfnisse aller Betroffenen zu verstehen und um gleichzeitig Vertrauen weiter aufzubauen, wurde die ersten eineinhalb Tage hauptsächlich zugehört. Jede und jeder konnte Vorschläge für die Planung einbringen.
Auf unterschiedlichsten Wegen fanden insgesamt 1.229 Ideenbeiträge in das Ideenbüro: In Form von 7 moderierten Gesprächsrunden, 12 von Klassen angefertigte Spurenplakaten, 13 Besuchen des Teams in Klassen, 73 ausgefüllten Onlinespiel-Beiträgen, 86 stattgefundenen Einzelgesprächen, 325 in die Ideenbox eingeworfene Beiträgen und 713 beantwortete Umfrage-Fragen.
Alle gemeinsam verwandelten das alte Schulgebäude von 1926 zum Bildungszentrum Pestalozzi von 2016.

Ergebnisse des Beteiligungsprozesses

Der Stadtteil in Leoben erfährt durch die Sanierung des Gebäudes und die umliegende Platzgestaltung sichtbare Wertschätzung. Das Schulgelände ist nicht abgesperrt, die ehemaligen PKW-Stellplätze wurden in Sport und Spielflächen umgewandelt und sind rund um die Uhr zugänglich. Keine Tore sagen also „NEIN“ zu den Jugendlichen – gegebenenfalls sind Streetworker angedacht: Dialog statt Verbot.
Die spätgründerzeitliche Gangschule mit dunklen Bereichen und toten Ecken wurde zu einem Bildungszentrum für alle Altersgruppen, Talenttypen und Kulturhintergründen umgebaut. Das Lehren und Lernen muss nicht mehr nur in der Klasse stattfinden, sondern kann sich über die Gänge auf alle Bereiche hin ausdehnen. Michael Zinner betonte in der Schlusspräsentation den Unterschied von „Anstalten-Dasein“ und Wohnen: „Wir bauen einen Lebensraum, in dem Schule möglich ist. Wir bauen keine Schule, in der vielleicht Leben möglich ist.“
Die ideenwerkstatt öffnet allen Interessierten die Türen – bedingungslos. Dadurch wird nicht nur „neues“ Vertrauen in ArchitektInnen möglich. NutzerInnen können sich so auch auf „natürliche“ Weise mit dem Projekt identifizieren. Infolgedessen steigt die Wahrscheinlichkeit für Akzeptanz von Neuem. Petra Kail, die Direktorin der VS, beschreibt das mit folgenden Worten: „Die Architekten haben uns sehr in den Prozess mit einbezogen, haben uns dazu gebracht, selber nachzudenken. Gleichzeitig haben sie sehr viele Ideen eingebracht, die – und das muss man ehrlich sagen – wir wirklich gebraucht haben. Die meisten Pädagoginnen sind schon sehr lange in der Schule und nach einer gewissen Zeit hat man einfach Scheuklappen.“
Drei Schulen, die bislang nicht in einem Gebäude untergebracht waren, können sich nun – mit Unterstützung der Raumangebote – zu einer Einheit entwickeln, in der „sanfte Übergänge“ ihren Schlagwort-Charakter verlieren werden. Die gemeinsamen Räume der Erwachsenen, die Bibliothek und das Restaurant stehen genauso dafür wie die möglichen eigenen Bereiche von Gruppen (Stichwort: sinnfällige Hierarchien). Die gemeinschaftliche Nutzung von Flächen ermöglicht einen intensiveren Gebrauch der Immobilie – und damit ein verantwortungsvolleres Verwenden von Steuergeld. Dies – und das ist wesentlich – nicht aus dem Gedanken des Mangels heraus (Stichwort: Austeritätspolitik), sondern aus dem Prinzip gemeinschaftlicher Fülle (Stichwort: wenige für das Ego, mehr für alle). Die gemeinsam und ohne Rangordnung zu verwendenden Räume aller Erwachsenen der drei Schulen können als schulräumliche Sensation beziehungsweise schulpolitische Revolution gewertet werden.
Mit der Möglichkeit zur Begleitung der Planenden im ersten Schuljahr ist auch die Wahrscheinlichkeit für das Gelingen dieses großen Schrittes wesentlich erhöht.
Das Umschichten der Baukosten durch zinner & nonconform hin zu den Möbeln ermöglichte einen Fokus auf Materialien und Oberflächen der Innenraumgestaltung. Ziel war es, die Wohnatmosphäre des Schulgebäudes so hoch wie möglich zu halten. Holzböden, Holzwolleleichtbauplatten an den Decken, runde abgehängte Leuchtkörper, Holzmöbel sowie Pinnwände, Sofas und Sitzwürfel aus Filz im ganzen Haus tragen dazu bei. Sie machen aus der Schule einen Wohnraum, eine Oase für den Alltag und eine Arbeitswelt, die auch akustisch Glück über Jahrzehnte ermöglich.



Ansprechpartner

zinner & nonconform (Schularchitektur & Partizipation)

Julia Puchegger

Lederergasse 23/8/EG, 1080 Wien
01-9294058