Methode

Tailoring – Inklusiv beteiligen (Methodenmix)

ANZAHL DER BETEILIGTEN
Kleine Gruppe (bis ca. 15 Personen)
Mittlere Gruppen (ca. 15-30 Personen)
Größere Gruppen (ab ca. 30 Personen)
DAUER DER DURCHFÜHRUNG
Weniger als 1 Tag
1 Tag bis max. 1 Woche
Einige Wochen
Einige Monate
STUFE DER BETEILIGUNG
Information
Konsultation
Mitbestimmung
FORM DER BETEILIGUNG
Analog
Digital
ZWECK DER DURCHFÜHRUNG
Informieren, Diskussion starten, Gemeinsam planen und entwickeln, Problem / Feld analysieren, Meinungen / Reaktionen einholen, Längerfristig zusammenarbeiten, Aktivieren, Vernetzen, Konflikt lösen
FÜR KONFLIKT GEEIGNET
Ja

Allgemein

Top down organisierte Beteiligungsprozesse sind oft mit dem Vorwurf konfrontiert, dass ohnehin nur „die üblichen Verdächtigen“ daran teilnehmen würden. Dass also durch partizipative Formate wie Bürger:innenräte oder LA21-Gruppen nur Menschen erreicht würden, die über ausreichend materielles und/oder symbolisches Kapital verfügen, um sich in öffentliche Aushandlungsprozesse einzubringen – also z. B. über ausreichend Tagesfreizeit oder schulische (Vor-)Bildung oder schlicht sprachliches Verständnis verfügen.

Tatsächlich gibt es aber große Bemühungen, Beteiligungsprozesse inklusiver und repräsentativer zu gestalten. Wir geben hier einen Überblick möglicher Vorgehensweisen und Methoden, der als work in progress anzusehen ist. Lassen Sie uns gerne Ihre Erfahrungen und Ideen via kontakt@partizipation.at zukommen, damit wir diese Seite aktuell halten können!

Mögliche Beteiligungsschritte und Methoden

Es ist zentral, Fragen der Inklusion am Beginn jedes partizipativen Prozesses mitzudenken. Als übergeordnete Strategie empfiehlt sich das sogenannte „Tailoring“. Das heißt, alle Botschaften, Maßnahmen und Aktivitäten innerhalb eines Beteiligungsprojekts müssen an Besonderheiten und Bedürfnisse der unterschiedlichen Zielgruppen angepasst werden. Es wird zum Beispiel wenig Sinn machen, in einem von Migrant:innen geprägten Stadtviertel mit einsprachigen Einladungen und Info-Foldern zu arbeiten. In einer von Abwanderung geprägten ländlichen Gemeinde wird es wichtig sein zu überlegen, wie man die unterschiedlichen Generationen für die Teilnahme gewinnt und eine Sprache findet, mit der sowohl Ältere als auch Jüngere erreicht werden. In einem partizipativen Stadtplanungs-Projekt, in dessen Fokus sichere und barrierearme Straßen und Plätze stehen, wird es zentral darum gehen, auch behinderte Menschen ausreichend miteinzubeziehen und im Vorhinein zu recherchieren, wie Personen im Rollstuhl oder sehbehinderten Menschen die Teilnahme an Workshops ermöglicht werden kann.

Hier einige konkrete Anregungen für Tailoring in der Praxis:

1.

Mehrsprachigkeit

  • Verwendung von mehrsprachigem Informationsmaterial und Medien sowie sprachunabhängige Arbeit mit bildlichen Darstellungen
  • Dolmetsch-Leistungen während Veranstaltungen
2.

Identifizieren von Multiplikator:innen und Brückenbauer:innen

Zur Planung von Beteiligungsprojekten gehören Stakeholder-Analysen, in denen auch versucht wird herauszufinden, welche Menschen ins Boot geholt werden müssen, um unterschiedliche Zielgruppen zu erreichen. Multiplikator:innen sind Menschen, die selbst Teil der Community sind, die man erreichen will – z. B. Sprecher:innen von migrantischen Vereinen, die selbst Migrant:innen sind, oder Vertreter:innen einer Behinderten-Initiative, die selbst behindert sind. Brückenbauer:innen sind Menschen, die nicht unbedingt Teil der Community sein müssen, aber mit ihr gut vernetzt sind – z. B. die Leiterin eines Jugendzentrums oder der Wirt eines beliebten Lokals im Grätzl. Wenn gut vernetzte und in den jeweiligen Zielgruppen anerkannte Personen dafür werben, an Beteiligungsprojekten teilzunehmen, kann das ein wesentlicher Erfolgsfaktor für das Gelingen eines Projekts sein.

3.

Aufsuchende Formen von Kommunikation und Beteiligung

Unterstützt durch Multiplikator:innen und Brückenbauer:innen Menschen dort aufsuchen und einbinden, wo sie sich regelmäßig aufhalten (Parks, Schulen, Pensionist:innenklubs, Jugendzentren, religiöse Einrichtungen etc.) durch:

  • Info- und Dialogformate im öffentlichen Raum
  • Dialog- und Beteiligungsformate direkt vor Ort in Einrichtungen/Institutionen, wo sich vulnerable Bevölkerungsgruppen oder die für ein Projekt zentralen Zielgruppen aufhalten
4.

Interkulturelle, diverse Projektteams bilden

Um das Vertrauen unterschiedlicher Zielgruppen zu gewinnen bzw. auch Glaubwürdigkeit auszustrahlen, empfiehlt es sich, inklusive Arbeitsteams zu bilden. Wenn man z. B. mit mehrsprachigen Communities arbeiten möchte, sollte auch das Projektteam mehrsprachig aufgestellt sein. Wenn man verstärkt Menschen mit Behinderung zur Teilnahme einladen will, sollten auch Menschen mit Behinderung bei der Planung mitarbeiten etc.

5.

(Aufsuchende) Los-Verfahren

Das Los-Verfahren ist insbesondere bei Bürger:innenräten und bei Projekten mit Bürger:innenjurys integraler Bestandteil der Methode. Es bedeutet, dass die Teilnehmer:innen mittels Zufallsprinzip aus dem zentralen Melderegister gelost werden. Damit die Bevölkerung möglichst gut repräsentiert wird, werden bei der Auswahl zusätzlich verschiedene Merkmale berücksichtigt wie Alter, Geschlecht und Wohnort oder auch Bildung, Einkommen und Geburtsland.
Die ausgewählten Bürger:innen werden postalisch verständigt und um Rückmeldung gebeten, ob sie zur Teilnahme bereit sind. Bislang verfügen nur wenige Beteiligungsprojekte über die finanziellen und personellen Ressourcen, an diesem Punkt „nachzuhaken“ – es also nicht dabei bewenden zu lassen, wenn sich jemand nicht rückmeldet, sondern diese Personen persönlich aufzusuchen und direkt an die Haustür zu klopfen.
Diese Form von „aufsuchenden Losverfahren“ erhöht die Inklusivität. Erfahrungen in Deutschland zeigen, dass auf diese Weise mehr Nicht-Wähler:innen, mehr Menschen mit geringem Interesse an Politik bzw. mit geringem Vertrauen in Politik und Gesellschaft erreicht werden.

6.

Unterstützungsangebote – Barrierefreiheit

Vor allen Zusammenkünften im Rahmen partizipativer Projekte sollte bei den potenziellen Teilnehmer:innen erfragt werden, was sie brauchen um gut teilnehmen zu können. Je nach Größe und Diversität der Gruppe kann z. B. angeboten werden:

  • Kinderbetreuung vor Ort bei der Veranstaltung
  • Betreuungsangebot für Kinder und/oder pflegebedürftige Angehörige an deren Wohnort oder alternativ Übernahme von Betreuungskosten für die Zeit der Teilnahme am Beteiligungsprojekt
  • Maßnahmen für Barrierefreiheit: z. B. Rollstuhl-gerechte Zugänge zu Veranstaltungsräumen, Gebärdendolmetsch, Induktionsschleifen etc.
7.

Finanzielle Aufwandsentschädigung

An Beteiligungsprojekten teilnehmen zu können, ist mit einem zeitlichen Aufwand verbunden. Auch wenn es „nur“ ein 2-stündiger Workshop ist, müssen sich junge Eltern oder pflegende Angehörige dafür erst mal die Zeit frei schaufeln, was alles andere als einfach und oft auch mit Kosten z. B. für Babysitter verbunden ist.
Finanzielle Aufwandsentschädigungen signalisieren potenziellen Teilnehmer:innen, dass ihr Mitwirken als wertvolle Leistung und nicht als Selbstverständlichkeit betrachtet wird, und dass auch die Anstrengung gesehen wird, welche die Teilnehmenden auf sich nehmen.
Zudem erleichtert es manchen Interessierten die Argumentation gegenüber Partner:innen und anderen Familienmitgliedern, warum eine Teilnahme für den gesamten Familienverband sinnvoll ist.
Bei den letzten großen Bürger:innenräten in Österreich – dem Klimarat sowie dem Guten Rat – erhielten die Teilnehmer:innen Aufwandsentschädigungen sowie eine Rückerstattung ihrer Reisekosten, was auf sehr positive Resonanz gestoßen ist. Aufwandsentschädigungen sollten zumindest bei länger andauernden Beteiligungsformaten, wo es eine konstante und zuverlässige Mitarbeit der Teilnehmer:innen braucht, state of the art sein.

Organisatorisches

Bei der Einladung zum Beteiligungsprojekt und der Aufbereitung von Info-Materialien muss besonders auf barrierefreie und Zielgruppen-gerechte Gestaltung geachtet werden (z. B. einfache Sprache, Mehrsprachigkeit, Visualisierungen, bildhafte Sprache, Vermeiden von abstrakten Begriffen, von zu technischer und/oder wissenschaftlicher Sprache).

Bei der Auswahl der Räumlichkeiten ist auf Barrierefreiheit zu achten. Können Menschen im Rollstuhl problemlos die Örtlichkeit erreichen? Ist die Tonanlage geeignet für Menschen mit Hörbeeinträchtigungen? Ist der Veranstaltungsort an öffentliche Verkehrsmittel angebunden oder müssen Mitfahr-Gelegenheiten/Shuttle-Services angeboten werden? Wenn die Veranstaltung online stattfindet, sollte herausgefunden werden, ob die relevanten Zielgruppen über die notwendige Ausstattung von Geräten verfügen und im Umgang mit Laptop, Notebooks, Videokonferenz-Tools etc. vertraut sind. Wenn nicht, muss dafür Sorge getragen werden, dass Teilnehmer:innen während der Online-Einheit jemand zur Seite steht.

Bei der Durchführung des Beteiligungsformats braucht es ausreichend Hosts, die auf die jeweiligen Bedürfnisse der Teilnehmer:innen gut eingehen können.

Zu beachten

  • Sobald man als Projektteam ein grobes Bild erhält, welche Menschen mit welchen Besonderheiten und Bedürfnissen voraussichtlich am Beteiligungsprojekt teilnehmen werden, sollten die zum Einsatz kommenden Methoden noch einmal auf ihre Eignung hin überprüft werden. Wenn man zum Beispiel mit einem World Café arbeiten will und einige der erwarteten Teilnehmer:innen sich schwertun, sich sprachlich auszudrücken, können z. B. von Beginn an auf den Tischen Bilder aufgelegt und Ideen und Meinungen Collage-artig festgehalten werden.
  • Je nach Zusammensetzung von inklusiven Gruppen kann es sinnvoll sein, längere Pausen oder mehr und kürzere Pausen einzuplanen.

Weiterführende Informationen

Praxisbeispiele

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